Es gibt keinen Grund zur Häme. Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine, einer der profiliertesten Politiker Deutschlands, muss wegen seiner Krebserkrankung zurücktreten. So etwas stimmt selbst politische Gegner nachdenklich. Doch vor allem Sozialdemokraten wären heuchlerisch, wenn sie nicht zugäben, dass sie aus diesem Anlass schon einmal neu planen und rechnen.

Lafontaine war einer der Hauptgründe, warum SPD und Linke bisher nicht miteinander konnten. Große Teile der SPD haben ihm nicht verziehen, dass er sie zuerst 1999 als SPD-Chef und Finanzminister schmählich im Stich ließ - und sechs Jahre später nur zurückkam, um die SPD mit seiner neuen Linkspartei zu bekämpfen.

Jetzt aber, wo Lafontaine die bundespolitische Bühne verlässt, könnten die Karten neu gemischt werden. Fünf Jahre nachdem der damalige Kanzler Gerhard Schröder seinem Volk und seiner Partei die Reformagenda 2010 zugemutet hatte, hat sich zumindest die SPD immer noch nicht davon erholt. Im Gegenteil: Bei der Bundestagswahl im Herbst erreichte sie nur noch 23 Prozent. Sie liegt so ermattet auf dem Boden, dass es einer helfenden Hand bedarf, um sie wieder auferstehen zu lassen. Diese könnte aus dem linken Lager kommen - nicht sofort, aber in den nächsten Wahlen, jedenfalls bis zur Bundestagswahl 2013.

Dazu reicht es natürlich nicht, dass "Oskar" , das rote Tuch, verschwindet. Es muss auch inhaltlich passen, und da sind, seit die SPD auf die Oppositionsbank getrieben wurde, schon ein paar Verschiebungen im politischen Koordinatensystem zu bemerken. Auch die SPD möchte nun aus Afghanistan raus, nicht so hopplahopp wie die Linkspartei, aber man hat ein Abzugsdatum (spätestens 2015) vor Augen.

Auch an Schröders Reformen doktert die SPD lustvoll herum. Sie will älteren Arbeitslosen wieder mehr Geld gewähren, was ganz im Sinne der Linkspartei ist. Beim Mindestlohn marschieren Linke und SPD ebenfalls in dieselbe Richtung. Und hat nicht der neue SPD-Chef Sigmar Gabriel gleich zu Beginn seiner Amtszeit erklärt, er wolle rot-rote Bündnisse nach der Wahl 2013 nicht ausschließen?

Doch vor einer tränenreichen Wiedervereinigung der Genossen, die einst Seit' an Seit' schritten, ist noch ein langer Weg mit einigen Unwägbarkeiten zu gehen. Zunächst muss die Linkspartei klären, welche Art von Politik sie in den kommenden Jahren machen will: Zeigt sie sich - wie schon bisher im Osten - kompromissbereit, weil sie mitregieren will? Oder betreibt sie Fundamentalopposition wie im Westen Deutschlands, wo Lafontaines Anhänger den Wählern ungeniert Milch und Honig versprechen - und das natürlich kostenlos.

Apropos Westen: Den Zulauf in den neuen Bundesländern verdanken die Linken allein Lafontaine. Offen ist, ob die Partei nach seinem Abgang nicht wieder zusammenschmilzt wie der letzte Schnee in der Frühlingssonne.

Denn eines hat Lafontaine ja trotz unermüdlichen Einsatzes nicht geschafft: in Deutschland eine einige Linke zu etablieren. Ost und West wurden nur durch seinen eisernen Willen und den von Gregor Gysi zusammengehalten, inhaltlich aber driften sie auseinander. Und wer weiß: Vielleicht findet so mancher West-Linke jetzt, da "der Oskar" weg ist, wieder Gefallen an der SPD. (Birgit Baumann/DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2010)