Christian Moser als Skispringer als Mann, der mit sich im Reinen ist. "Die Erinnerungen sind positiv."

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Wien - Der kleine Maxi, der in diesem Fall Christian heißt, hat sich Olympische Spiele genau so vorgestellt. Insofern waren der Fantasie Grenzen gesetzt. Der 37-jährige Christian Moser stammt aus Achomitz. Dieser beschauliche Ort in Kärnten besteht praktisch ausschließlich aus Schanzen. Man geht dort nicht einkaufen, man springt einkaufen. Der durchaus menschliche Traum vom Fliegen war also kein Hirngespinst. "Er lag vor der Haustüre." 1979, Moser war sieben Jahre alt, begann die Realisierung. Auf dem 15-Meter-Bakken, mit ordinären Alpinskiern. Und der Bub zeigte, was er hatte, nämlich Talent zum Vogel. Dem österreichischen Skiverband ist das nicht entgangen, er zog auch diesen schmächtigen Adler auf.

Es war am 22. Februar 1994 im norwegischen Lillehammer, als Moser auf dem Stockerl stand. Gemeinsam mit Andreas Goldberger, Heinz Kuttin und Stefan Horngacher. Bronze im olympischen Mannschaftsspringen. Was 2010 in Vancouver ein mittlere Katastrophe wäre, war damals ein Erfolg. Jubel. Tränen der Freude. Die Deutschen und Japaner galten als außerirdisch, die Norweger und Finnen wurden höher eingeschätzt. "Und wir haben sie in Schach gehalten." Moser war ursprünglich nur als Ersatzmann nominiert, mit starken Trainingsleistungen hat er sich aufgedrängt. Er kam als Zweiter dran. "Den ersten Sprung habe ich in den Sand gesetzt, der zweite war sehr gut. Ich habe nichts verbockt." Genauso hatte es sich der kleine Christian ausgemalt. "Gänsehaut, ein unglaubliches Gefühl. Da waren 60.000 Zuschauer. Das war Olympia, wie es im Büchl steht. Echte Begeisterung, nette Menschen, weniger Kommerz, keine Skandale, ein friedliches Fest. Es grenzte fast an Kitsch."

Moser hat es getaugt, den Erfolg zu teilen. Die Feier im Österreich-Haus, unvergesslich. Das mediale Interesse, unvergesslich. Die innere Zufriedenheit, unvergesslich. Moser vermochte sich immer gut einzuschätzen. "Ich wusste, dass diese Medaille meine einzige Chance war. Im Einzel hat es nicht gereicht. Da war ich ein Stück von der absoluten Spitze entfernt." Tag für Tag hat er das hautnah mitbekommen. Moser teilte das Zimmer mit Goldberger. "Und der war ein Gradmesser. Er war besser. Ich bin trotzdem nicht an ihm zerbrochen, er war ein Ansporn."

Der 22. Februar 1994 hat Mosers Leben nicht wirklich über den Haufen geworfen. "Man wird bekannter, aber das legt sich bald. Es ist klar, dass eine Bronzemedaille in der Mannschaft nicht reicht, um ausgesorgt zu haben."

Schnitt. Was danach einsetzte, nennt Moser heute einen "schleichenden Prozess" . Anders ausgedrückt: "Es war Magersucht, es war schlimm, es dauerte zwei Jahre." Prinzipiell hat er überhaupt kein Problem, über diese Krankheit zu reden. "Ich unterhalte mich mit jedem, der zu mir kommt, gerne. Aber ich will mit meiner persönlichen Geschichte nicht in der Zeitung stehen. Denn so wichtig bin ich nicht. Über das Allgemeine können wir sprechen, denn das Thema gehört enttabuisiert und aufgearbeitet. Es ist im Skispringen akut." Moser verweist auf Sven Hannawald, verweist auf Martin Schmitt. Und er verweist auf eine physikalische Gesetzmäßigkeit. "Leicht und klein springt leider weiter. Verkürzen kann man sich nicht, bleibt die Gewichtsabnahme. Und die ständige Angst vorm Schnitzel." Wie man dem entgegensteuert? "Änderungen beim Material, Raufsetzen des Body-Mass-Index. Funktionäre und Ärzte müssen mehr Verantwortung übernehmen."

Moser hat 1997 noch ein paar Wettkämpfe bestritten. "Es ging nicht um Ergebnisse, sondern um den Abschluss des Heilungsprozesses. Ich war dann mit mir wieder im Reinen."

Vor zehn Jahren ist er nach Wien gezogen. "In der Großstadt gibt es mehr berufliche Perspektiven." Moser absolvierte Fachhochschulen, belegte Kurse, seit fünf Jahren ist er bei der OMV als Zuständiger für Sport- und Sozialsponsoring angestellt. Er trainiert in der Freizeit die Springer des Landesskiverbandes, das ist kein Scherz, in Wien leben tatsächlich 28 Buben den Traum vom Fliegen, man nennt sie "Stadtadler" . An den Wochenenden wird nach Mürzzuschlag oder Villach gereist, dort gibt es, was Wien nicht hat: Sprungschanzen.

Die Medaille pendelt zwischen Wien und Kärnten, ihr ist egal, in welchem Regal sie hängt. Seinen drei Kindern hat Moser über den 22. Februar 1994 oft erzählt. "Weil sie es wissen wollten. Ich habe mich nicht aufgedrängt." Es immer noch so, wie es sich der kleine Christian vorgestellt hat. "Gänsehaut. An der Grenze zum Kitsch." (Christian Hackl, DER STANDARD Printausgabe 25.1.2010)