Joachim Gauck ist am Sonntag 70 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat er seine Erinnerungen geschrieben, die aus der Vielzahl der Neuerscheinungen rund um 20 Jahre Mauerfall herausragen. Denn Gauck war eine der Schlüsselfiguren im deutsch-deutschen Veränderungsprozess. In seinem Buch vermag Gauck es, seine persönliche Geschichte und jene der beiden deutschen Staaten miteinander zu verknüpfen.

Gauck war Pastor in der DDR. Seine Rostocker Marienkirche wurde zu einem Treffpunkt für all jene, die Veränderungen in der DDR anstrebten. Er öffnete nicht nur seine Kirche, sondern war auch einer der Gründer der Bürgerrechtsbewegung Neues Forum.

Über Deutschland hinaus bekannt wurde Gauck dann als Bundesbeauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit. Die Behörde, die er von 1990 an für zehn Jahre leitete, hatte mit der Stasi-Hinterlassenschaft umzugehen: 204 Kilometer Akten, darunter sechs Millionen Personendossiers.

In seinem Buch gibt Gauck das preis, was er sich früher versagt hat: Emotionen. Er schildert, wie es ihm selbst ergangen ist mit seinen Stasi-Akten. Sein Rückblick ist ehrlich, manchmal für ihn selbst erschreckend. Im persönlichen Gespräch erzählt Gauck, dass er sich in einer Szene selbst nicht wieder erkannt habe: wie er sich am Bahnsteig von zwei Söhnen, die in den Westen ausreisen durften, verabschiedet hat - ohne Tränen, ohne sichtbare Gefühle.

Der sperrige Titel bezieht sich auf zwei Ereignisse, die Gauck geprägt haben: Es war im Jahr 1950, als sein Vater von den Sowjets abgeholt und nach Sibirien deportiert wurde. Für den Zehnjährigen wurde es mitten im Sommer "Winter". Den Herbst 1989 erlebte er dagegen als Frühling, als Aufbruch in neue Zeiten. Wichtig war ihm stets, dass die Vergangenheit präsent bleibt. Mit diesem Buch setzt er seinen Kampf gegen Vergessen und Verdrängen fort. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2010)