Es war nur eine Vermutung. Die Journalisten, die an dem kalten Novembertag vorm glasgrauen Kluczynski Building in Chicago froren, sahen nur die Fahrzeugkolonne, drei schwere Jeeps. Hillary Clinton, dies war das zweite Indiz, hatte am selben Tag einen Flug nach Chicago gebucht, wo Barack Obama im Kluczynski-Hochhaus an seinem Kabinett bastelte. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Gerücht: Clinton soll Außenministerin werden. Es stimmte, aber was für ein Drama der Offerte folgte, hat ein Buch erst jetzt in allen Einzelheiten enthüllt.
"Sie ist klug, sie ist hart, sie ist diszipliniert." Energisch redet Obama an gegen seine zweifelnden Berater, als die Runde überlegt, wer das State Department übernehmen soll. Niemand brauche Hillary ans Händchen zu nehmen, sie müsse sich ihren Platz auf der Weltbühne nicht erst verdienen. "Du solltest dir wirklich sicher sein, dass ihr zwei zusammenarbeiten könnt" , rät Valerie Jarrett, eine Chicagoer Vertraute. "Du kannst sie ja nicht einfach feuern."
Clinton schlägt das Angebot aus, was damals kein Außenstehender ahnen konnte. Offenbar unterrichtet durch erstklassige Quellen, haben die Reporter John Heilemann und Mark Halperin in Game Change niedergeschrieben, was sich abspielte. Episode für Episode schildern sie eine Mischung aus Rivalität und Partnerschaft, wie sie typisch ist für das Verhältnis der beiden demokratischen Zugpferde. Kein Beteiligter dementiert, man darf annehmen, dass es Wort für Wort stimmt.
Zwei Tage bevor Hillary nach Chicago fliegt, riecht ihr Adlatus Terry McAuliffe den Braten. Was dran sei an dem Getuschel, will er wissen. "Ich? Außenministerin? Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe." Falls man ihr einen Posten anbiete, glaubt sie, dann einen symbolischen. Die Senatorin ist perplex, als Obama sie tatsächlich bittet, seine Chefdiplomatin zu werden.
Fünf Tage dauert es, bis sie eine Entscheidung trifft. Eingeweihte bestürmen sie. Rahm Emanuel, Obamas Stabschef, fleht sie an, nicht nein zu sagen. Ein Nein könnte den Präsidenten beschädigen, bevor er überhaupt im Oval Office sitze. Nach fünf Tagen ist Clinton sich sicher: "Ich mache es nicht." Das ständige Reisen, der Jetlag: Die Strapazen würden ihr Leben auf den Kopf stellen.
Als sie es Obama mitteilen will, weigert er sich, den Anruf entgegenzunehmen. Er sei indisponiert, heißt es. Clinton fliegt nach New York. Mitternacht, zurück in Washington, versucht sie es erneut, und diesmal bekommt sie ihren Kontrahenten ans Telefon. "Es war ein langer Wahlkampf, ich bin ausgelaugt" , beginnt sie das Gespräch. Dazu all die Erzählungen, die über ihren Ehemann Bill kursieren: "Sie wollen den ganzen Zirkus nicht, er ist weder für Sie gut noch für mich." Richtig, erwidert Obama, er teile die Sorge. "Aber die Wirtschaft steckt noch tiefer im Schlamassel, als wir es uns vorstellen konnten. Ich muss mich in den nächsten zwei Jahren auf die Wirtschaft konzentrieren. Ich brauche jemanden Ihres Formats für die Diplomatie."
"Schlafen Sie darüber"
Offen wie nie reden die erbitterten Konkurrenten des Vorwahlduells über alles, was ihnen auf der Seele brennt, auch über kaum vernarbte Wunden. Bill Clinton hatte den Senkrechtstarter aus Illinois in der Hitze des Gefechts behandelt wie einen Schulbuben. Keiner kann ausschließen, dass er sich als Außenministerinnengatte besserwisserisch in den Vordergrund schiebt. "Ich bin mir des Risikos bewusst" , sagt Obama. "Ich bin bereit, es einzugehen. Ich brauche Sie. Schlafen Sie bitte noch einmal darüber."
"Sie wird es machen" , erklärt er am nächsten Morgen im Kreis seiner Vertrauten, noch bevor sie antwortet. Sein sechster Sinn sagt es ihm. Valerie Jarrett bemerkt das zufriedene Lächeln, das über Obamas Gesicht huscht. Noch nie, notiert sie, habe sie ihn stolzer erlebt. (Frank Herrmann aus Washinton/DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2010)