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Ein Feldherr im Intrigenspiel. Joachim Meyerhoff, so schön wie schwarz, als "Othello"

Foto: APA / Schlager

Trotz einiger Längen eine bezwingende Leistung.

Wien - Eine Gesellschaft, die ohne Skrupel darüber bestimmt, wer in ihr als "Mohr" zu gelten hat, hockt selbst noch im Schoß der Finsternis. Die erste, quälend lange Szene in Jan Bosses Wiener Othello-Inszenierung spielt, unter Einschluss der Notlichter, in vollkommener Dunkelheit. Fähnrich Jago (Edgar Selge) geißelt mit schmutziger Stimme seine schmähliche Zurücksetzung durch den Feldherrn: Ein anderer, Michael Cassio (Markus Meyer als Karikatur des Constablers), ist an seiner statt Feldleutnant geworden. Jago, der so etwas wie den intellektuellen Bodensatz in der Republik Venedig bildet, wird sich an "seiner Mohrschaft" vernichtend rächen.

Selge gibt im Akademietheater, dem Schauplatz einer so bitteren wie überzeugenden Diskriminierungsstudie, den Säure verspritzenden Freigeist: einen Studienrat im Stangensakko, der mit gelichtetem Haarschopf Intrigen wie Sprengladungen anbringt. Den Rassismus aber, der einem angeblich unverzichtbaren Leistungsträger gilt, muss Jago nicht erfinden. Othello (Joachim Meyerhoff) ist bloß das exakte Spiegelbild jener Vorbehalte, die ihn zum Exoten stempeln. Rußschwarz bis in die Handflächen, schleicht er als Anhängsel der venezianischen Prominenz wie im Glücksrausch über die Rampe: als schöner Wilder aus der Vogue für Männer.

Herzinnigliches Flennen

Meyerhoff ist das Rätsel dieses vielfach unfertigen, manchmal auch stockenden Abends: In seiner Geschmeidigkeit wähnt man die Stereotype einer gelingenden, in Wahrheit bloß behaupteten Integration wiederzuerkennen. Desdemona (Katharina Lorenz) scheint als höheres Soldatenliebchen ihrem Afrikaner von Herzen zugetan: Sie flennt ganz herzinniglich, wenn Othello die Geschichte seiner Brautwerbung einschmeichelnd vorträgt. Der Doge (Rudolf Melichar) lässt den Gastarbeiter gewähren: Venedig führt nämlich Krieg. Es schlägt die Stunde der Sachbearbeiter.

Die hohe Wand aus Wellblech zerbirst (Bühne: Stéphane Laimé): Vor der Feuermauer liegt Zypern - kein Schlachtfeld mehr, deshalb noch lange kein Hinterland. Von oben regnet es Daunen; eine schwangere "Hure" (Adina Vetter) stöckelt zwischen Kisten, Planen und Matratzen hinüber zu einem begehbaren Liebesschrank. Die Venezianer verstehen es, wirkungsvoll Krieg zu führen. Mit der Anbahnung harmonischer Liebesverhältnisse sind sie absehbar überfordert.

Privatheit kann auf diesem vom Krieg beschmutzten Grund nicht gedeihen. Damen wie Jagos porzellanblasse, herrlich emanzipierte Gattin Emilia (Caroline Peters) sind daher bloß Prunkstücke einer erotischen Marschverpflegung: Sie oder Desdemona, die sich hübsch räkelt oder ungezwungen im Bikini posiert, verkörpern Spindfotos aus Fleisch und Blut. Jeder sieht hier jede. Die Eifersucht, die Jago in Othello hochkitzelt, ist ein überholter, spießiger Empfindungsrest.

Erschütternde Nachhaltigkeit

Und so gelingen Bosse Szenen von erschütternder Nachhaltigkeit: Wenn Othello, der smarte Generalissimus, seinem jungen Weibe ein Abendessen ausrichtet, setzt es afrikanisches Hühnchen. Meyerhoff, der undurchdringliche Nervenschauspieler, balanciert auf schmalem Hochgrat: stürzt sich aus der Rolle des "kultivierten Zentraleuropäers" hinunter in das epileptische Elend des rasenden Mohrs. Jago sitzt derweil wie ein böser Spielleiter in der ersten Reihe fußfrei, mäkelt und motzt und gießt Säure nach.

Die Lichtblitze, die Zypern immer wieder unnatürlich erhellen, sind solche der Erkenntnis: In Gabriella Bußackers und Bosses Othello-Übersetzung, die ebenso nüchtern wie scharf jeden Anflug von Poesie vermeidet, fallen die Menschen heraus aus jeder Geborgenheit. Othellos zähnefletschendes Elend, wenn er Desdemona in der Hängematte quälend langsam erstickt und ersticht, ist das der unverstellten Nacktheit: Keine Kulturleistung beschützt vor der Katastrophe der Selbsttäuschung. Zerstörungslust ist die obszöne Dreingabe einer aufgeklärten Gesellschaft.

Das Premierenpublikum stand wie unter Schock - und rang sich schließlich zu Jubel durch. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.1.2010)