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Bis Ende 2013 will die Türkei ihren Gesetzesbestand an das EU-Recht angepasst haben, sagt Europaminister Egemen Bagis.

Foto: APA/Pressenlehner

Vor dem tatsächlichen Beitritt werde sich aber noch viel ändern. Von Christoph Prantner.

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STANDARD: Rund 80 Prozent der Österreicher sind gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Was ist Ihre Botschaft an diese Skeptiker?

Bagis: Die heutige Türkei wird nicht EU-Mitglied, ihr könnt euch entspannen! Jene Türkei, die ihre Verhandlungen mit Brüssel abgeschlossen hat, tritt bei. Auch Europa wird dann eine andere Union sein. Im Verlauf dieses Prozesses wird die Türkei demokratischer, säkularer und wirtschaftlich erfolgreicher werden. Nehmen Sie die Fakten: 65 Prozent der Türken sind unter 35 Jahre alt. Wir sind die Lösung für das Problem der Überalterung der europäischen Arbeitsmärkte. Die Türkei ist die natürliche Brücke für den Energietransport nach Europa, dazu ein Hub für den Handel und eine Barriere gegen illegale Immigration, Drogenhandel oder Terrorismus. Mit der zweitstärksten Armee in der Nato haben wir jahrzehntelang zur Sicherheit Europas beigetragen. Wir wickeln 50 Prozent unserer Außenhandels mit Europa ab. Fünf Millionen Türken leben in Europa, 250.000 davon in Österreich - so gesehen sind wir bereits in der EU.

STANDARD: Bisher sind nur wenige Kapitel der Beitrittsverhandlungen geöffnet, wann will Ankara den Prozess abgeschlossen sehen?

Bagis: Wir haben ein nationales Programm, das unsere Gesetze bis Ende 2013 mit dem Beitrittskatalog in Einklang bringen soll. Ob die Gesetze nun vor der Öffnung der Verhandlungskapitel durchgehen oder umgekehrt, ist zweitrangig. Wenn das erreicht ist, wird die Türkei ein anderes Land sein. Ostdeutschland kam über Nacht zur EU, weil es politisch notwendig war. Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Tag kommen wird, an dem die EU den Beitritt der Türkei politisch brauchen wird.

STANDARD: Eine spezielle Partnerschaft mit der EU ist keine Option?

Bagis:Nein.

STANDARD: Österreichische Unternehmen fühlen sich wegen der bilateralen Differenzen eingeschränkt in ihren Geschäften in der Türkei. Sehen Sie da ein Problem?

Bagis: Die türkische Wirtschaft ist größteils in privater Hand. Diese Unternehmer treffen ihre eigenen Entscheidungen. Wir als Regierung möchten die Handelsbeziehungen prinzipiell mit allen EU-Ländern stärken. Aber wenn Sie auf die Handelsbeziehungen in den letzten zehn Jahren schauen, werden Sie feststellen, dass Italien, Schweden, Großbritannien und Spanien ihre Anteile mehr gesteigert haben als andere. Alle diese Länder unterstützen den Beitritt der Türkei. Die Stimmung der Unternehmer wird mit Sicherheit von der Politik anderer Länder gegenüber der Türkei beeinflusst. Fazit: Wenn wir mehr Wirtschaftskooperation mit Österreich erreichen, wird wohl auch der politische Dialog besser werden.

STANDARD: Außenminister Davutoglu setzt eine Doktrin um, die die Türkei endgültig zu einer unumstrittenen Regionalmacht machen soll. Es gibt auch andere Anzeichen, dass Ankara die EU-Annäherung als Modernisierungsvehikel nutzen möchte, ein Beitritt eher nachrangig sein könnte. Ist die Türkei tatsächlich bereit Souveränität nach Brüssel abzugeben?

Bagis:Wir sind bereit, Souveränität nach Brüssel abzugeben, wenn wir aus Brüssel auch Souveränität bekommen. Wenn wir der Kommission Macht überantworten, wollen wir auch Macht zurückbekommen. Wenn wir beitreten, werden wir mehr Abgeordnete im EU-Parlament haben als die meisten Gründungsmitglieder. Genauso wird es bei den Beamten sein. Das sehen die türkischen Bürger. Aber sie sehen den Prozess auch aus einer anderen Perspektive: Wir haben ihr Pro-Kopf-Einkommen in den vergangenen sieben Jahren von 3000 auf 11.000 Dollar gesteigert, und das ohne Mitglied geworden zu sein. Die EU ist ein strategisches Ziel, ja, aber sie ist nicht die einzige Option für uns.

STANDARD: Wie soll es in der Zypernfrage weitergehen?

Bagis: Wir brauchen eine schnelle und gute Lösung. Wir haben erstmals einen Premier in Athen, der daran wirklich interessiert ist. Das gilt auch für Ankara. Dazu gibt es die beiden Zypriotenführer, die das wollen. Jeder kennt die Komplexität des Problems, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um mutige Schritte und Kompromisse zu finden. Nach den Wahlen in Nordzypern im April kann es zu spät sein.

STANDARD: Wie flexibel würde Ankara sein? Könnte das Ankaraprotokoll dafür implementiert werden?

Bagis:Flexibler als alle anderen. Wir würden glücklich sein, das Protokoll zu implementieren, wenn die EU auch ihre Beschlüsse respektiert und die Isolation Nordzyperns aufhebt. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2010)