Wien - Die Staatsanwaltschaft Wien bzw. das erkennende Gericht hatten das umstrittene Wiener Totschlag-Urteil - einem gebürtigen Türken wurde nach einer Messerattacke auf seine Ehefrau eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung zuerkannt, nachdem ihm seine Frau die Scheidungspapiere präsentiert hatte - unter anderem auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs (OGH) gestützt. Ein Blick in die Entscheidungssammlung des OGH beweist allerdings, dass die Vorgangsweise der Justiz sich zumindest mit einigen höchstgerichtlichen Erkenntnissen nicht zu decken scheint.

So räumt das Erkenntnis 12 Os 108/94 zwar ein, dass die Beurteilung, ob die - für den Totschlag erforderliche - heftige Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist, die Einbeziehung aller konkreten Tatumstände und psychologischen Zusammenhänge erfordert, "wobei sich der jeweils nach dem Einzelfall zu individualisierende objektive Maßstab auch am Lebenskreis des Angeklagten mitzuorientieren hat".

"Rechtstreuer Durchschnittsmensch"

Der OGH führt dazu allerdings aus: "Die in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde, für Inländer trotz aller Fremdheit noch sittlich verständliche Affektanfälligkeit von Ausländern hat außer Betracht zu bleiben. Es ist vielmehr von einem rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen, der mit den durch die inländische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist."

Im Erkenntnis 15 Os 150/03 heißt es wiederum, ein allgemein begreiflicher Affekt liege dann vor, "wenn das Verhältnis zwischen dem Anlass und dem Ausnahmezustand allgemein verständlich wäre, d.h. wenn sich ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch vorstellen könnte, unter den besonderen Umständen des Falles in eine solche Gemütsverfassung zu geraten".

Die Frau "irgendwann umbringen"

Im konkreten Fall hatte der Mann schon länger von den Scheidungsabsichten seiner Frau gewusst, die sich nicht zuletzt wegen erlebter Gewalttätigkeiten von ihm trennen wollte. Wenige Stunden vor der Tat hatte der 1980 nach Österreich ausgewanderte Türke einem seiner Söhne erklärt, er halte dieses Situation nicht mehr aus und werde die Frau "irgendwann umbringen".

Selbst ranghohe JustizvertreterInnen zweifeln daher daran, ob sich diese Ausgangslage mit dem Ehemann vergleichen lässt, der unerwartet nach Hause kommt und seine Frau völlig überraschend mit seinem besten Freund im Schlafzimmer vorfindet - eine Fallkonstellation, die Generationen von Jus-StudentInnen als das Paradebeispiel einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung geschildert bekommen haben, die abstrakt geeignet wäre, dem Mann einen Totschlag zuzubilligen. (APA)