Für Monate ein Paar: Tanja Wehsely, Melek Tekin (v.li.)

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Im großen Festsaal des Rathauses verlässt der Bürgermeister gerade unter Applaus die Bühne. Die Moderatorin entlässt ihn mit einem „Danke, dass Sie hierher gefunden haben". Wenig später nimmt Michael Häupl am runden Tisch vor der Bühne Platz, bei Vizebürgermeisterin Renate Brauner und vis-a-vis von Vize-SP-Klubchefin Tanja Wehsely. Am Tisch sitzt auch eine junge Dame, die ihr Glück noch nicht ganz fassen kann. "Einmal den Menschen die Hand zu schütteln, die man sonst nur vom Fernsehen kennt, das ist schon super", sagt die 26-jährige Melek Tekin. Seit Monaten sind Tekin und Tanja Wehsely ein Paar.

"Abholen und mitnehmen"

Eine Mentoringbeziehung verbindet die Studentin mit der Vize-Klubchefin der Wiener SPÖ. "Ich sehe das als Weiterbildung" erklärt Tekin. „Junge Frauen abholen und mitnehmen" nennt es Wehsely. Renate Brauner bringt es auf den Punkt: „Netzwerken - das ist für Frauen ganz besonders wichtig. Wenn es eine nach oben schafft, muss sie eine andere nachholen." Melek Tekin nickt. 

Bereits zum zweiten Mal hat das Wiener "Black Women Center" das Mentoringprojekt "Mimpol - Migrantinnen machen Politik" organisiert. Zehn PolitikerInnen von SPÖ, ÖVP und den Grünen stellten sich zur Verfügung. Die Idee: Für einige Monate Steigeisen für politikinteressierte Frauen zu sein. Bei manchen funktioniert das weniger gut, bei anderen besser. Das Gespann Wehsely-Tekin scheint eines der erfolgreicheren Paare zu sein. Sie haben auch jetzt, nach dem offiziellen Projekt-Schluss, noch Kontakt. "Ich kann die Tanja immer anrufen", schwärmt Tekin.

Gemeinderat "von unten"

Die 26-Jährige verschont sich nicht. Sie studiert Publizistik und Politologie, und weil sie noch unentschieden ist, ob sie Politikerin oder Journalistin werden will, probiert sie studienbegleitend schon einmal beides aus: Beim TV-Sender Okto werkt sie als Programmplanerin, beim Mentoring-Projekt schnuppert sie Rathaus-Luft. Die Gemeinderatssitzung, bei der sie spüren durfte, dass die BesucherInnen von oben auf sie herabschauten, kommentiert sie noch heute mit „Wow".

Dass weinselige Abende wie der heutige mindestens ebenso wichtig sind wie Plenarsitzungen, ist wohl eine der Lektionen des Mentoring-Projekts. Heute abend, bei der großen Feier des Wiener ArbeitnehmerInnen-Förderungsfonds (WAFF), dessen Vize-Vorstand Wehsely ist, wirkt Tekin noch etwas unsicher. Doch das stört nicht weiter: Wehsely führt sie gekonnt übers Smalltalk-Parkett. Dass sie im Brotberuf Jugendarbeiterin ist, schadet dabei nicht. Dass ihre große Schwester Sonja Gesundheitsstadträtin ist, wohl auch nicht.

"Bin keine Ausländerin"

„So ein Zufall, wir sind beide rot-schwarz gekleidet", ruft Wehsely und zeigt auf Tekins kariertes Kopftuch. „Das ist aber keine Anspielung auf irgendeine Art von Koalition." Tekin lächelt. Gefragt nach nach ihrer Einschätzung zur Wien-Wahl 2010, schnalzt die Antwort zurück: „Wir werden gewinnen!" SPÖ-Parteimitglied ist Tekin erst seit kurzem, im Parteiumfeld engagiert schon länger. Mit einem Freund hat sie die „Naturfreunde" Meidling wiedergegründet - „als Sportverein für Migranten". Für Integrationspolitik interessiert sie sich ansonsten nicht, sondern für Frauenpolitik. „Ich bin keine Ausländerin", sagt sie ernst. Schließlich lebt sie seit dem vierten Lebensjahr in Wien.

Umso mehr bohren die Schuldgefühle in ihr, weil sie sich beim Mimpol-Projekt gemeldet hat: „Manchmal denke ich mir: Ich habe nur diese Möglichkeit bekommen, weil ich Migrantin bin." Tanja Wehsely beruhigt: „Da musst du kaltblütig sein." Bei Frauenquoten sei es schließlich ähnlich. „Natürlich kommen mit der Quote auch Trottel-Frauen nach oben. Aber dann hast du eben eine Trottel-Frau neben zehn Trottel-Männern. Bei denen fragt ja auch keiner nach, wie sie es geschafft haben." Tekin nickt.

Wer den beiden Frauen zuhört, merkt, dass es hier nicht nur um Seilschaften geht. Nach einiger Zeit meint Melek Tekin, es beeindrucke sie sehr, dass Wehsely „nicht nur erfolgreiche Politikerin ist, sondern auch Mutter". Dass beides vereinbar ist, mache ihr Mut. „Du musst dir einfach wen suchen, der mit dir Halbe-Halbe macht", rät Wehsely.

Auch Spätberufene willkommen

Melek Tekin weiß nicht nicht, ob sie Politikerin werden will. Und wenn, wenn „sicher nicht jetzt": „Zuerst kommt Bildung, Bildung, Bildung.", sagt die Tochter eines Staplerfahrers und einer Hausfrau. Wehsely beruhigt: Für den Schritt ins Parteipolitische sei es nie zu spät. „Ich bin selber eine Spätberufene." Und wenn es einst soweit ist, „na dann kennst du ja schon ein paar Leute." (Maria Sterkl, derStandard.at, 26.1.2010)