Millionen deutsche Arbeitnehmer und Pensionisten müssen sich darauf einstellen, bald höhere Beiträge für ihre gesetzliche Krankenkasse zu bezahlen. Das ist in den vergangenen Jahren schon öfter der Fall gewesen. Dennoch erleben die Versicherten diesmal eine "Premiere" der besonderen Art: Sie alleine müssen für die Mehrkosten aufkommen, die Arbeitgeber hingegen werden verschont.
Eigentlich hatte die bis Herbst 2009 amtierende große Koalition aus Union und SPDgenau dieses Szenario vermeiden wollen, als sie den so genannten "Gesundheitsfonds" ins Leben rief. In diese zentrale Geldsammelstelle fließen sowohl die Beiträge der Versicherten als auch Steuermittel für das Gesundheitswesen. Jede gesetzliche Krankenkasse bekommt dann für jeden Versicherten einen bestimmten Betrag.
Die Kassen bekamen auch das Recht, von den Versicherten höhere Beiträge einzunehmen, wenn sie mit ihrem Budget nicht auskommen. Und das ist nun der Fall. Den Anfang macht die Deutsche Angestellten Kasse (DAK), deren Chef Herbert Rebscher zugab, einen "Tabubruch" zu begehen. "Seine" 4,9 Millionen Beitragszahler müssen bereits ab Februar monatlich acht Euro mehr in die Kasse legen.
Wettbewerbsgedanke
Theoretisch könnten sich diese nun einen anderen Anbieter suchen - dieser Wettbewerbsgedanke sollte die Kassen nämlich zum Sparen anhalten. Doch in der Praxis wird es den Versicherten wenig nützen: Denn weitere sieben Kassen haben ähnlich konkrete Pläne in der Schublade. Im Laufe des Jahres würden dann bei fast allen der 161 gesetzlichen Krankenkassen die zusätzliche Einhebung von sieben oder acht Euro "die Regel" , sagt Günther Neubauer vom Münchner Institut für Gesundheitsökonomik. Experten schätzen, dass dafür rund 51 Millionen neue Datensätze angelegt werden. Insgesamt müssen die Krankenkassen ein Loch von vier Milliarden Euro stopfen.
Wolfram-Arnim Candidus von der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten fordert die Bürgerinnen und Bürger auf, zu zahlen: "Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, wenn wir nicht rationieren wollen." Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) findet die Zusatzbeiträge "unsozial und nicht gerecht" . Er will eine Kommission einsetzen, die Vorschläge für eine neue Gesundheitsreform erarbeiten soll.(Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 26.1.2010)