Noch einmal durchs Schlammbad: Erni Mangold spielt in "Tanzcafé Treblinka" einen straffrei gegangenen Kriegsverbrecher.

Foto: Urban

Warum sie schlecht schläft, sich aber gern für die Kunst entblößt, erfuhr Doris Priesching.

***

Man kommt nicht umhin, Erni Mangolds Spannkraft zu bewundern. Zu den täglichen Proben kommt die Schauspielerin mit ihrem Mercedes - meistens direkt aus dem Waldviertel. Schnellen Schrittes kommt sie ins Foyer des Wiener Theater Nestroyhof Hamakom. "Mir macht Stehen nichts aus" , sagt sie und nimmt erst Platz, als der Fotograf sie wegen der Lichtverhältnisse darum bittet. "Mit Schlanksein hat das nichts zu tun" , erklärt sie. Zweimal pro Woche stemmt sie je 50 Minuten Hanteln.

Ihren 83. Geburtstag feiert Mangold heute, Dienstag, mit der Premiere von Tanzcafé Treblinka. In Werner Koflers Stück spielt sie A - den Kriegsverbrecher, der jahrelang das Tanzcafé Lerch in Klagenfurt betreibt und auf den jungen B (Hanno Koffler) stößt, der sich an Seebühne und Beachvolleyball erfreut, sonst nichts wissen will. Mit den blinden Flecken ihrer Identitäten lässt Regisseur Frederic Lion die beiden aufeinander los.

Standard: Gab's Aufregung im Vorfeld?

Mangold: Null. Auch keine Bombendrohungen. Wär nicht unflott, im Moment haben die Rechtsradikalen aber andere Sorgen. Erst wenn junge Leute laut "Gemeinheit!" schreien, könnte was kommen.

Standard: Man bleibt in der Klage aber eher unter sich. Was würden Sie H.-C. Strache sagen, wenn er ins Theater kommt?

Mangold: Das interessiert ihn sicher nicht. Ich bin sehr direkt und würde sagen, welche Schwierigkeiten ich mit ihm habe.

Standard: Kofler sagt sinngemäß: Kunst zerstört die Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit schert sich nicht darum. Da muss man durch?

Mangold: Der Antisemitismus ist da, und der bleibt da. Als der Hitler kam, war ich zwölf. Ich war zwei Tage in einer dieser Gruppen. Die Anführerin sagte: Du musst singen und eins, zwei gehen. Ich gab ihr eine Ohrfeige und sagte meinem Vater, dass ich nie wieder hingehe. Mein Glück war, dass ich hübsch und ein Mädchen war. Mir ist nie etwas passiert, obwohl ich sabotiert habe.

Standard: Wie das?

Mangold: Ich war im Herbst 1944 bei Siemens & Halske, die für den Krieg produzierten. Ich streute Sand in die Maschinen - das war's. Es waren immer drei oder vier Maschinen kaputt. Ich wollte dort nicht arbeiten, und als ich mir eine Warze am Daumen wegnehmen ließ, gab ich Salzsäure in die Wunde, damit sie nicht heilt.

Standard: Koflers Schreckensvokabular muss schwer für Sie zu ertragen sein, weil Sie die Zeit miterlebt haben.

Mangold: Ich las das Manuskript vor Monaten, lehnte erst ab, weil ich 40 Seiten nicht auswendig lernen kann. Es würde zu sehr kopfmäßig belasten. Jetzt lese ich ja hauptsächlich vor. Es belastet mich aber auch so genug, ich schlafe schlecht. Es ist, als wenn ein alter Mensch in ein damaliges Schlammbad zurückgeworfen wird. Irgendwo hatscht du da noch einmal durch.

Standard: Wird es besser, wenn man noch einmal durchhatscht?

Mangold: Nein. Ich bin froh, dass ich die Distanz habe und es so umsetze. Es genügen Wörter wie "Gaswagen" , "Deportation" , "Blutorgie" . Ich muss das nicht spielen.

Standard: Die Worte haben eine aktualisierende Wirkung und rauben Ihnen deshalb den Schlaf?

Mangold: Sicher, aber ich habe den Vorteil, dass ich meine Geschichte auf die Worte draufpappe. Ich sage die Sätze in einer Weise, dass sich die Leute nicht sicher sein werden, ob sie nicht in einer Komödie sitzen.

Standard: Das Publikum wird lachen?

Mangold: Es wird lachen. Das ist das Furchtbare. Ich schmeiße meine Energie und meine Geschichte auf die Sätze vom Kofler drauf. Ob das die Leute mögen oder nicht, darum geht es überhaupt nicht. Es geht auch nicht um Erfolg.

Standard: Haben Sie Lampenfieber?

Mangold: Nein. Je älter man wird, desto stabiler muss man werden. Wenn ich mich verspreche - mein Gott! Das hat mit Kultur nichts zu tun. Gründgens sagte: Haben Sie keine Angst vor Perfektion, Sie sind es nicht. Und ich bin keine Perfektionistin. Es geht mir um die Gewalt, um die Energie, darum, dass ich das Publikum wegblase.

Standard: Auf den Programmheften zeigen Sie unverhüllte Haut. Waren Sie sofort einverstanden, sich zu entblößen?

Mangold: Sofort. Ich weiß, ich habe keinen ganz hässlichen Körper. Mit meinem Gesicht habe ich überhaupt kein Problem. Als ich noch sehr, sehr, sehr gut ausgesehen habe, hatte ich mit dem Ausziehen mehr Schwierigkeiten, weil ich so ein Männerfang war. Darunter habe ich gelitten.

Standard: Wurden Sie ausgenützt?

Mangold: Sehr. Weil ich nach Zuneigung, Liebe, blablablaba gesucht habe. Mit 20, 30 haben mich die Männer nicht in Ruhe gelassen. Ich war wie eine läufige Hündin. Das kann man sich nicht vorstellen. Ich habe spät geheiratet, obwohl ich nie heiraten wollte. Kinder konnte ich als kriegsgeschädigtes Mädchen keine kriegen. Ich bin nicht traurig darüber, dass ich mich nicht fortpflanzte. Ich sagte mir: Wie es ist, so ist es.

Standard: Wären Sie wieder jung, was würden Sie anders machen?

Mangold: Ich habe keine Begabung zu Sprachen, und es tut mir leid, dass ich da ein Trottel bin. Ich würde Spanisch, Italienisch, Französisch und Englisch lernen, weil ich mich gern mit Menschen unterhalte.

(DER STANDARD/Printausgabe, 26.01.2010)