Lieber sterben als heiraten: Sebastian Reiß überzeugt als Georg Büchners Leonce.

Foto: Schuller

Graz - Ein Grillparzer, in dem Karikaturen die Geschichte von verlogenen Wahrheiten erzählen, und ein Büchner, dessen Prinzenpaar auch als Geschwisterpaar in der Addams Family mitwirken könnte: Am Grazer Schauspielhaus hatten am Wochenende gleich zwei Produktionen mit kompromisslosen Regiekonzepten Premiere.

Am Freitag stellte sich der 30-jährige Tobias Kratzer mit einer die Grenze zum Klamauk bereits überschreitenden, aber gelungenen Inszenierung von Weh dem, der lügt dem Premierenpublikum. Durch eine dreischiffige sterile Großküche (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier) jagt er sein Ensemble: Understatement ist hier ein Fremdwort und böse Unterhaltung wird großgeschrieben. Der zur bedingungslosen Ehrlichkeit verdammte Küchenjunge Leon wird von Florian Köhler wie ein nach allen Seiten sprühendes Tischfeuerwerk gespielt. Er begibt sich von der Welt des grauen und krank aussehenden Bischofs von Chalon (herrlich trashig wie ein Fernsehprediger: Franz Xaver Zach) in jene der giftgrünen Faschingsuniformen des Grafen Kattwald im Rheingau, um des Bischofs Neffen Atalus zu befreien.

Es ist ein Fest der Schauspieler, der Grimassen und wilden Gesten, das Kratzer hier ausrichtete. Franz Solar feiert es - nacheinander als Untertan vom Bischof und vom Grafen - in bester Commedia- dell'Arte-Manier. Sophie Hottinger beweist als Kattwalds Tochter abgründigen, uneitlen Humor und Jan Thümer exerziert als Streber Atalus vor, wie knochentrocken man witzig sein kann.

Lebensmüdes Liebespaar

Bei der 28-jährigen Regisseurin Bernadette Sonnenbichler und ihrer Bühnenbildnerin Sabine Freude fliegen derweil nicht nur auf der mit Steckern, Schaltern und Lämpchen überwucherten Bühnenwand die Sicherungen. Das Outfit des Prinzen Leon und der Prinzessin Lena und all ihrer Mitmenschen erinnert an das, was die Dresden Dolls als Punk-Rock-Cabaret bezeichnen: schwarz und weiß und sehr morbid mit optischen Anleihen aus Johnny Depps Sweeney Todd.

Der gelangweilte Königssohn Leonce, den Sebastian Reiß in ununterbrochen gehaltener Spannung sicher meistert, ist ein überspannter, lebensmüder Freak, der zwischen Pubertät und Midlife- Crisis keinen Halt einzulegen gedenkt - schon gar nicht in einem Ehebett. Die ihm zugedachte Lena (Katharina Klar) entpuppt sich aber zum Glück als ebenso seltsam: Mit geköpfter Puppe in der Hand will sie sich eher mit den schwarzen Zöpfen erhängen, als zu heiraten. Bodenständig amüsieren daneben Claudius Körber und Susanne Weber als Valerio und Lenas Gouvernante. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe, 26.01.2010)