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Netzhautschaden des Augenhintergrundes, wie er durch den ungeschützten Blick auf die totale Sonnenfinsternis entstehen kann.

Foto: APA/Lilly Speicher

„Fernsehen im Dunkeln stellt für das menschliche Auge absolut kein gesundheitliches Risiko dar", beantwortet Peter Heilig, Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie, kurz und bündig die eingehende Frage. Der Mann weiß wovon er redet, beschäftigt er sich doch schon seit Jahren mit Lichtschäden im Auge. Seine Bemühungen dem hartnäckigen Mythos um die angebliche Gefährlichkeit längerfristiger Betrachtung von Computer- und Fernsehbildschirmen den Garaus zu machen, fruchten allerdings wenig.

Keine Gefahr für die Netzhaut

Unter Verdacht steht seit Jahrzehnten das Blaulicht, das angeblich insbesondere von LCD (liquid crystal display)-Monitoren in größerem Ausmaß abgestrahlt wird. Dieses kurzwellige Licht wird dafür verantwortlich gemacht die menschliche Netzhaut zu schädigen und die Entstehung einer altersbedingten Makuladegeneration zu forcieren.

„Das menschliche Auge hat wenig Freude damit, wenn zu viel und zu lange blaues Licht auf die Netzhaut gelangt", negiert auch Heilig diese Tatsache nicht. Jedoch, und an diesem Punkt herrscht Uneinigkeit unter Experten, ist der Blaulichtanteil von Fernseher, Computer und Co zumindest laut Heilig viel zu gering, um der Netzhaut nachhaltig zu schaden. „Beim Betrachten einer Sonnenfinsternis oder beim Schweißen kann es ohne ausreichenden Lichtschutz zu einem Netzhautschaden kommen, beim Fernsehen passiert genau nichts", weiß der Wiener Augenexperte.

Muntermacher Blaulicht

Warum das Blaulicht primär in der Dunkelheit dem Auge nicht gut tun soll, hat angeblich mit der Chronobiologie des Menschen zu tun. Einer Untersuchung aus dem Jahr 1987 zufolge unterdrückt Blaulicht das Entspannungs- und Dunkelhormon Melatonin. Das macht munter und verschafft dem Fernsehzuschauer im Dunkeln zu späterer Stunde beträchtliche Schlafschwierigkeiten. Ein vermeintlicher Muntermacher-Effekt, dem die Industrie Folge geleistet hat. In Tunnels, Kindergärten, Altersheimen und Fabriken wurde überall blaustichiges Licht installiert, um die Vigilanz von Autofahrern, Kindern, alten Menschen und Arbeitern zu erhöhen.

„Die Untersuchungsergebnisse von damals sind längst widerlegt. Polychromatisches Licht, wie das normale Tageslicht, wirkt sich wesentlicht stärker auf den Melatoninhaushalt aus, als monochromatisches Blaulicht", betont Heilig und betrachtet insbesondere die Verwendung von Blaulichtscheinwerfern im Straßenverkehr als höchst problematisch. „Blaulicht blendet stärker, streut mehr und erzeugt dabei noch unscharfe Bilder, da der Brennpunkt der kurzen Blaulichtwellen nicht auf, sondern vor der Netzhaut liegt", erklärt der Experte und fordert nicht zuletzt deshalb das generelle Verbot der Verwendung von Tagfahrlicht. Entgegen der allgemeinen Meinung, dass das Fahren mit eingeschaltenen Scheinwerfern am Tag die Aufmerksamkeit und damit die Verkehrssicherheit erhöht, betrachtet Heilig diese Maßnahme als besonders gefährlich: „Das menschliche kognitive System wird mit so vielen Lichtreizen nicht fertig und überfordert damit seine visuellen Kurzzeitspeicher".

Mitunter kann dann folgendes passieren: Ein Kind überquert den Zebrastreifen. Der Lenker eines herannahenden Busses wird von Taglichtfahrern unbewusst abgelenkt und vielleicht auch geblendet. Das Kind wird auf der Netzhaut des Busfahrers dennoch scharf abgebildet, in der kognitiven Verarbeitung wird das Bild jedoch ausgelöscht. Der Buschauffeur verursacht einen tödlichen Unfall und schwört, dass auf dem Zebrastreifen kein Kind war. „Der Mann ist möglicherweise unschuldig, wenn sein Gehirn dem Overflow an Lichtstimuli nicht gewachsen war", weiß Heilig und bezeichnet die Kinder als „unschuldige Opfer" des Tagfahrlichtes. Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigen auch aktuelle Statistiken: Der Abnahme an Gesamtverkehrsunfällen, steht ein stetiger Anstieg tödlicher Radfahrer- und Kinderunfälle auf Zebrastreifen gegenüber. Die generelle Ausstattung neuer Autos mit Tagfahrleuchten ist für 2011 europaweit trotzdem geplant.

Trockene Augen, keine Fehlsichtigkeit

Doch zurück zum Fernseher und Computer. Neben der drohenden Makuladegeneration, existiert auch die Behauptung, dass stundenlanges Betrachten der LCD-Monitore fehlsichtig macht. Marathonglotzer fürchten sich jedoch zu Unrecht vor einer Hypermetropie (Weitsichtigkeit) oder einem Astigmatismus (Hornhautverkrümmung). Wozu es allerdings immer kommt, erklärt Heilig: „Die Augen werden innerhalb relativ kurzer Zeit trocken. Das verschlechtert die Abbildung massiv, was der Betrachter mit gesteigerter Konzentration kompensiert und dabei gleichzeitig seine Lidschlagfrequenz reduziert". Das alles wäre nur halb so schlimm würden, so Heilig, daraus nicht häufig die falschen Schlüsse gezogen. Das unscharfe Bild, das infolge trockener Augen entsteht, erzeugt vorübergehend ein latentes Schielen. Dieses wird gerne als manifestes Schielen fehlinterpretiert. Der Kunde fühlt sich in seiner Vermutung bestätigt. Die erworbene Prismabrille löst sein Problem allerdings nicht. (derStandard.at, 28.10.2010)