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Das Justizministerium hat auf das umstrittene Wiener Totschlag-Urteil reagiert und klargestellt dass "weder die Ausländereigenschaft im Allgemeinen noch die Herkunft aus einem bestimmten Land für sich genommen den Grad der Heftigkeit einer Gemütsbewegung und die allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung zu begründen vermögen".

Foto: AP/Hans Punz

Wien - Das Justizministerium hat auf das umstrittene Wiener Totschlag-Urteil reagiert, mit dem einem gebürtigen Türken, der seine Frau niedergestochen hatte, wegen seiner Herkunft eine "allgemein begreifliche, heftige Gemütsbewegung" zugebilligt wurde (dieStandard.at berichtete). Kritik am Urteil wurde in Folge laut, weil damit die ausländische Herkunft des Täters als Begründung für eine mildere strafrechtliche Beurteilung - Anklage wegen Totschlags statt Mordes - diente. Es ging also, unter anderem, um die Frage: Gelten für ausländische Straftäter in Österreich die selben Massstäbe wie für österreichische Delinquenten? Oder werden andere Sittenvorstellungen, kulturelle Eigenarten oder Moralbegriffe bei der Beurteilung von Delikten herangezogen?

Erlass stellt Schwenk dar

In einem mit 25. Jänner datierten, an sämtliche Präsidenten der Oberlandesgerichte, die Oberstaatsanwaltschaften und die Korruptionsstaatsanwaltschaft gerichteten Erlass zur Auslegung der allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung im Totschlag-Paragrafen 76 Strafgesetzbuch (StGB) wird der im Urteil vertretenen Rechtsansicht nun vom Justizministerium widersprochen. Das teilte eine Vertreterin des Ministeriums heute der APA mit.

Dieser Erlass, der derStandard.at vorliegt, klingt anders als die erste Stellungnahme von Justizministerin Bandion-Ortner. Sie hatte erst vor wenigen Tagen die Forderung, sich in die Rechtsprechung einzumischen und gegen das Urteil vorzugehen, scharf zurückgewiesen: "In die unabhängige Justiz einzugreifen, wäre ein Skandal", so Katharina Swoboda, Pressesprecherin von Bandion-Ortner am 19. Jänner. Die Justiz habe Männer und Frauen ebenso gleich zu behandeln wie In- und Ausländer. Es gebe "keine Bevorzugung von Frauen. Es gibt auch Gewalt gegen Männer."

"Aus gegebenem Anlass"

Nun greift das Justizministerium mittels Erlass doch indirekt in die Rechtssprechung ein. "Aus gegebenem Anlass" und "unvorgreiflich der Rechtsauffassung der unabhängigen Gerichte", wie man betont. In dem von Christian Manquet, dem Abteilungsleiter für Straflegislative, unterzeichneten Erlass wird festgehalten, "dass nach Lehre und Rechtsprechung weder die Ausländereigenschaft im Allgemeinen noch die Herkunft aus einem bestimmten Land für sich genommen den Grad der Heftigkeit einer Gemütsbewegung und die allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung zu begründen vermögen".

Zur allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung bedürfe es neben den sonstigen Voraussetzungen "immer auch der Verständlichkeit aus österreichischer Sicht". Eine allfällige allein durch die Ankündigung der Scheidung oder Trennung hervorgerufene heftige Gemütsbewegung des Täters sei unabhängig von seiner Herkunft für sich genommen nicht allgemein begreiflich, so das Ministerium. Gewalthandlungen würden im Zusammenhang mit Scheidungs- oder Trennungsankündigungen "regelmäßig gegen eine allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung sprechen".

Es ist, so heißt es in dazu der juristischen Lehre, "unter Anlegung eines individualisierenden objektiven-normativen Maßstabes vom Verhalten eines rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen", der "mit den durch die inländische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist". Die Frage lautet also: würde ein ebensolcher "Durchschnittsmensch" in einer ähnlichen Situation ähnlich reagieren oder nicht?

Keine Konsequenzen

Bindend für die Organe der Rechtssprechung sei dieser Erlass jedoch nicht, heißt es aus dem Justizministerium gegenüber derStandard.at. Er sei lediglich eine unterstützende Hilfe für im Rechtsbereich tätige Menschen, eine Art Wegweiser, der die geltende Rechtslage besser erläutern soll. Wenn sich etwa die Rechtslage ändere, diene ein Erlass als Hilfsmittel, "um den Mitarbeitern die tägliche Arbeit zu erleichtern." Im Jahr 2009 gab es laut Justizministerium in der Straflegislativsektion etwa vierzig Erlässe.

Konsequenzen bei einem Ingnorieren des Erlasses gibt es keine, "es wäre jedoch gut, wenn sich die Leute dran halten", so eine Mitarbeiterin des Justizministeriums zu derStandard.at. Der Erlass gilt ab sofort, Auswirkungen auf das oben erwähnte Urteil hat es jedoch keine: Der Schuldspruch ist bereits rechtskräftig, kein ordentliches Rechtsmittel ist mehr zulässig. Lediglich gegen das Strafausmaß - es beträgt sechs Jahre Haft - hat die Staatsanwaltschaft Berufung angemeldet. (az, saju, derStandard.at, 26.1.2010/APA)