Sanaa/Wien - Wenn schon der Außenminister des Jemens die Gefahr sieht, dass sein Land in den Status eines "failed state" abrutscht, ist das ernstzunehmen: Allerdings muss Abubakr al-Qirbi, der dies am Tag vor der Jemen-Konferenz in London einräumte, versuchen, so viel Hilfe wie möglich zu mobilisieren. Zwei Milliarden Dollar seien sofort nötig, um die Wirtschaft des Jemen vor dem Kollaps zu bewahren, weitere vier, um so etwas wie eine Entwicklung zu starten, sagte der Minister.
Die Jemen-Konferenz am Mittwoch ist eine der Folgen des verhinderten Attentats des jungen Nigerianers Umar Faruq Abdulmuttalib in einer US-Maschine zu Weihnachten, denn seine terroristischen Verbindungen gingen in den Jemen. Mittlerweile hat sich Osama Bin Laden - oder wer für ihn spricht - zur Urheberschaft bekannt, was US-Präsident Barack Obama zur Bemerkung veranlasste, dass Al-Kaida sehr geschwächt sein müsse, um die gescheiterte Tat eines einzelnen - die bestimmt nicht ganz oben koordiniert wurde - zu beanspruchen.
Am Ende ist die Organisation, die sich dort festsetzt, wo der Staat schwach ist - wie eben im Jemen -, noch lange nicht. Dass der Jemen mit seinen Jahre dauernden internen Konflikten im Norden und im Süden und mit seiner Armut ein ideales Rekrutierungs- und Rückzugsfeld für Extremisten ist, war den Geheimdiensten seit Jahren bekannt. Nach 9/11 hatten die USA den jemenitischen Langzeitpräsidenten Ali Abdullah Salih - der im Golfkrieg 1991 noch zu Saddam Hussein gehalten hatte - auf ihre Seite gezwungen, wobei aber immer wieder Zweifel an Salihs Positionierung laut wurden: Immerhin wurde auch Salihs Halbbruder, General Ali Mohsen al-Ahmar, der heute die Aufstandsbekämpfung im Norden leitet, immer wieder der Kontakte ins Al-Kaida-Umfeld beschuldigt.
Einer der Vorwürfe lautet, die jemenitische Regierung habe sich zu sehr damit beschäftigt, den Huthi-Aufstand in der Provinz Saada im Nordjemen niederzuschlagen und das unter "Terrorbekämpfung" subsumiert, was zu kurz greift. Die Huthis und ihre Shabab-Bewegung sind zwar Rebellen, haben (auch) eine religiöse Agenda und sind gegen die US-Orientierung der Regierung in Sanaa, aber schon allein als schiitische Sekte passen sie nicht zu Al-Kaida. Es stimmt allerdings, dass Al-Kaida den Krieg im Norden für sich nutzen kann und sich im Gebiet festzusetzen versucht. Nicht zuletzt wegen der Ansteckungsgefahr über die Grenze haben saudi-arabische Truppen im Herbst in die Kämpfe eingegriffen.
Vor der London-Konferenz gab es Anstrengungen, einen Waffenstillstand zwischen den Huthis auf der einen Seite und jemenitischen und saudischen Truppen auf der anderen zu erreichen. So würden Ressourcen für den Kampf gegen Al-Kaida frei. Die USA unterstützen Sanaa militärisch - wobei über Ausmaß und Details nur gerätselt werden kann. Einiges dürfte auch über den US-Verbündeten Saudi-Arabien gehen.
Der wichtigste Kampf im Jemen ist aber der gegen die Armut und Unterentwicklung - und der soll nun in London angegangen werden: Laut den Angaben von Außenminister al-Qirbi leben 42 Prozent der jemenitischen Bevölkerung von unter zwei Dollar täglich. Die Arbeitslosigkeit betrage demnach 30 Prozent - das dürfte eher eine konservative Schätzung sein. 65 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt.
2006 gab es bereits eine Jemen-Konferenz: Der Großteil der Zusagen von 4,7 Milliarden Dollar wurde danach jedoch nicht eingehalten, nicht nur wegen der Säumigkeit der Geber, sondern weil die schwachen und korrupten jemenitischen Institutionen zu sinnvollen Projekten nicht ohne weiteres imstande sind. Der Jemen braucht also nicht nur Geld, sondern ein Entwicklungskonzept. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2010)