Kenneth Rogoff

Foto: IWF

STANDARD: US-Präsident Obama ist in die Offensive gegangen und schlägt eine Bankensteuer vor. Was halten Sie von der Idee?

Rogoff: Die Steuer selbst ist nur eine Nebensache. Die wirklich wichtige Ankündigung Obamas war sein Plan, die Aktivitäten der Großbanken zu beschneiden.

STANDARD: Der US-Präsident will wieder eine stärkere Trennung des klassischen Bankgeschäfts vom risikoreicheren Investmentbanking. Halten Sie das für sinnvoll?

Rogoff: Ich bin froh darüber, dass Obama begonnen hat, über einen fundamentalen Wandel im Bankensystem zu sprechen. Allerdings ging es ihm bei seinen Vorschlägen mehr um die politische Auswirkung, als darum, das Finanzsystem unter Kontrolle zu bringen. Alles in allem: Ich finde seine Ideen sympathisch, aber ein wenig extrem.

STANDARD: Inwieweit extrem?

Rogoff: Im Dienst an den Kunden sollten Banken gewisse Risiken eingehen dürfen. So macht es wenig Sinn, Banken das Handeln auf eigene Rechnung ganz zu untersagen. Gefehlt hat mir im Obama-Plan auch eine Strategie gegen die kurzfristige Verschuldung der Banken. In unserem Buch "This Time is Different" haben Carmen Reinhalt und ich gezeigt, dass die massive kurzfristige Verschuldung im Finanzsystem Auslöser vieler Krisen ist. Dabei geht es darum, dass die Banken Darlehen mit extrem kurzer Laufzeit aufnehmen, um ihre Geschäfte zu finanzieren. Schulden werden also andauernd fällig, die Banken müssen daher in extrem kurzen Abständen gigantische Geldmengen am Markt auftreiben. Wenn das Vertrauen verschwindet, implodiert das ganze System.

STANDARD: Ein andere Kritik ist, dass Obama nicht gegen zu große Banken vorgehen will?

Rogoff: Ich bin mir aber auch nicht sicher, inwieweit Größe ein Problem ist. Große Banken sind so diversifiziert, dass sie nur bei systemischen Krisen in Schwierigkeiten geraten. Wenn wir eine riesige Bank in 20 Teile aufspalten, werden sich die Probleme nicht lösen. Eine große Krise würde dann die kleineren Banken gleichzeitig ruinieren, und wir müssten 20 Banken retten.

STANDARD: Als Folge der Krise ist die Verschuldung vieler Staaten angestiegen, darüber wird auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos heftig gestritten werden. Sehen Sie die Verschuldung als Gefahr?

Rogoff: Absolut. Im Zuge von internationalen Bankenkrisen kommt es regelmäßig zu einer Krise der Staatshaushalte. Europa und Osteuropa werden zum Ground Zero für dieses Problem werden. Der Währungsfonds hat viel Geld und wird die Mittel ausgeben, um Staaten aufzufangen. Das wird Zeit bringen. Aber es wird schwer werden, alle Länder aufzufangen, weil einige Schulden in solcher Höhe angehäuft haben, dass das untragbar ist. Solange die Länder Geld zu günstigen Konditionen erhalten, können sie einer Pleite noch entgehen. Aber ich sehe wenige Staaten, die politisch in der Lage sind, rigide Sparprogramme umzusetzen. Über die kommenden Jahre werden wir also einige Staatspleiten in Europa sehen.

STANDARD: Aber der Währungsfonds (IWF) hat bereits massiv interveniert. Wer ist noch gefährdet?

Rogoff: Ukraine, Lettland, Rumänien, Ungarn, Griechenland. Irland hat Probleme, auch Portugal. Der IWF hat den Staaten Zeit verschafft. Aber die Herausforderungen werden nicht alle bewältigen.

STANDARD: Das Problem trifft also besonders Osteuropa.

Rogoff: Das Problem trifft nicht nur, aber vor allem Osteuropa.

STANDARD: Könnte auch Österreich ins Trudeln geraten?

Rogoff: Bisher haben großen Länder wie Deutschland, USA, Japan und der IWF weitreichende Garantien abgegeben und Osteuropa stabilisiert. Aber das wird zurückgefahren werden. Für Staaten, deren Banken massiv in der Region engagiert sind, wird das eine sehr herausfordernde Zeit. Österreich ist heute weniger in der Region exponiert als vor einem Jahr. Aber es ist noch nicht über dem Berg.

STANDARD: Droht Österreich der Bankrott?

Rogoff: Nein. Aber eine Bankenkrise. (AndrásSzigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2010)