Salzburg - Eine Wohnung im Halleiner Stadtteil Burgfried, kurz vor elf Uhr abends am 17. August 2006: Acht oder neun Asylwerber aus der russischen Kaukasusrepublik Dagestan sitzen zusammen und trinken Tee. Die Türen gehen auf, fünf weitere Asylwerber aus der Nachbarrepublik Tschetschenien kommen herein, grüßen mit "Salam aleikum", ziehen Fleischerbeile und Küchenmesser unter ihrer Kleidung hervor und gehen auf die Anwesenden los. Mehrere Schüsse fallen, einer der Angreifer stirbt im Krankenhaus, einem zweiten wird der Unterarm durchschossen.Andere Beteiligte erleiden teils schwere Stich- und Schnittverletzungen.
Viel genauer konnten die Geschehnisse von damals auch am Dienstag am Salzburger Landesgericht nicht geklärt werden - was neben den verworrenen Zeugenaussagen auch daran liegt, dass gleich drei der vier Angeklagten „unbekannten Aufenthalts" sind, wie die Richterin zu Beginn der Verhandlung bekanntgab. Nur einer sitzt auf der Anklagebank: ein mittlerweile 33-jähriger Halleiner aus Dagestan. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, spricht sehr gut Deutsch und verdient gut als Hausbetreuer. Er hat damals den tödlichen Schuss abgegeben - das bestreitet er auch gar nicht erst.
Verantworten muss er sich wegen fahrlässiger Tötung und schwerer Körperverletzung. Für den Staatsanwalt hat er "sich bei der gerechtfertigten Notwehr eines überschießenden Mittels bedient". Bei Notwehrüberschreitung drohen ihm bis zu drei Jahre Gefängnis. Zu klären ist aus Sicht der Anklage vor allem, ob der Dagestaner von den Angreifern tatsächlich mit Messern bedroht worden war. Aus Sicht des Verteidigers war es "damals der letzte Ausweg zu schießen". Von wem er die Tatwaffe, eine halbautomatische Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg, bekommen hat, sagt der Angeklagte nicht. "Ein Freund" habe sie ihm zugesteckt. Zur Polizei hatte er ursprünglich gesagt, er habe sie in einem Strauch gefunden.
Unerklärlicher Überfall
Und warum sind die Tschetschenen an jenem Abend bewaffnet in die Wohnung gestürmt? Darauf konnten weder der Angeklagte noch die Zeugen am Dienstag eine echte Antwort geben. Ein paar Tage davor war es zwar zu einem unliebsamen nächtlichen Zusammentreffen zwischen dem Angeklagten und einer Gruppe Tschetschenen gekommen, kurz darauf hatte der Angeklagte einem von ihnen einen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Doch an besagtem Abend wollte man den Konflikt eigentlich wieder beilegen. Eine Konfliktlösung, die sich die tschetschenische Gruppe offenbar anders vorstellte. Der Prozess geht heute, Mittwoch, weiter, dann soll auch das Urteil fallen. (Markus Peherstorfer/DER STANDARD, Printausgabe, 27. Jänner 2010)