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Verhüllung und Intervention: Während Frankreich diskutiert, präsentiert eine Galerie in Nizza afghanische Burkas. "Das Verschwinden"heißt die Ausstellung.

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Es hätte ein salomonisches Urteil sein sollen, doch am Schluss befriedigte es keine Seite. Eine Beraterkommission in Paris hat am Dienstag nach monatelanger Diskussion die Empfehlung abgegeben, die Burka - den Ganzkörperschleier - an öffentlichen Orten wie Postämtern, Rathäusern oder Krankenhäusern zu verbieten.

Der Vorschlag von Hardlinern, die Körperverhüllung muslimischer Frauen gänzlich, also auch aus den Straßen oder der Privatwirtschaft zu verbannen, wurde aber fallengelassen. Der bürgerliche Parlamentsabgeordnete Jacques Myard hatte vergeblich gewarnt: "Ein Teilverbot in Amtsstellen läuft implizit auf eine Zulassung der Burka auf der Straße hinaus. Das kann ein Land wie Frankreich, das auf Menschen- und Frauenrechte Wert legt, nicht tolerieren." Myards Meinung teilen laut einer neuen Meinungsumfrage zwei Drittel der Franzosen.

Die offizielle Empfehlung sieht aber dennoch von einem Totalverbot ab. Präsident Nicolas Sarkozy neigte in letzter Zeit eher zu einem bloßen Teilverbot der Burka - der an sich falschen Bezeichnung für den Niqab, die Verschleierung, die nur die Augenpartie freilässt.

Stigmatisierung 

Sarkozy wandte sich gestern gegen die "Stigmatisierung" der muslimischen Gemeinde und besuchte am Dienstag demonstrativ einen islamischen Friedhof in Nordfrankreich, der durch rassistische Graffiti geschändet worden war.

Die Linksopposition wirft Sarkozy dennoch vor, dass er selbst die Stigmatisierung der rund vier Millionen Muslime im Land betreibe, indem er eine wahltaktisch motivierte Debatte über die "nationale Identität" losgetreten habe. Auch muslimische Würdenträger üben an dieser "xenophoben" Debatte scharfe Kritik.

Die französischen Medien kommentieren den Kommissionsentscheid relativ zurückhaltend und meinen, dass beide Seiten nachvollziehbare Argumente hätten: Frauenrechte und Laizismus sprächen für ein Totalverbot, die persönliche und religiöse Freiheit hingegen für ein Recht auf individuelle Bekleidung.

In letzter Zeit hatten Französinnen maghrebinischer Abstammung ein weiteres Argument eingebracht: den Trend zur (männlich) verordneten Frauenverhüllung in Ländern wie Marokko oder Tunesien. Sihem Habchi, die Präsidentin der französischen Banlieue-Bewegung "Ni putes ni soumises" (Weder Huren noch Unterjochte), erklärte, dass Frankreich diesem Trend in Europa einen Riegel vorschieben müsse. Schon allein um liberale Algerierinnen zu unterstützen, solle das ehemalige Kolonialmutterland den Niqab ganz verbieten. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe 27.01.2010)