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Miesmuscheln können sich mit ihrem Sekret bombenfest an Felsen heften und starken Wellen trotzen - das wollen Medizin und Industrie nutzen.

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Forscher arbeiten daran, mit dem umweltverträglichen Leim von Muscheln, Salamandern und Tintenfischen Zahnimplantate felsenfest anzubringen, Herzklappen zu befestigen und Schrauben zu ersetzen.

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Eine Paste nach Art der Miesmuschel könnte in Zukunft vielen Zahnarztpatienten munden - allerdings nicht im kulinarischen Sinne. Der Klebstoff, der Muscheln am Felsen haften lässt, soll auch Implantate im Kiefer verankern. "Vor allem bei infektanfälligen Menschen kommt es oft vor, dass sie einen künstlichen Zahn verlieren", sagt Robert Sader, Kieferchirurg von der Universitätsklinik in Frankfurt am Main. Das Gewebe umschließt das fremde Material nicht richtig, in den Spalt dringen Bakterien ein.

Der Muschelklebstoff soll das Implantat lückenlos mit dem Zahnfleisch verbinden, und zwar so, dass die Beißer einer harten Brotkruste widerstehen. Da sich Miesmuscheln mit einem Sekret bombenfest an Felsen heften und starken Wellen trotzen, könnte im Mund gelingen, was im Meer täglich geschieht.

Schon jetzt produzieren Chemiker des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen synthetischen Muschelleim - Sader testet ihn im Labor. Rund eine Million Implantate werden weltweit jedes Jahr gesetzt.

Profitieren könnten aber auch die Chirurgen. Was sie heute nähen oder mangels Möglichkeiten gar nicht fixieren, würden sie dann vielleicht kleben. Herzklappen ließen sich so befestigen, ein Riss in der Lunge schließen.

Seine Eigenschaften machen den Wunderkitt aus dem Ozean auch für die Industrie interessant. Er gilt als ungiftig und umweltverträglich, besteht er doch aus Eiweißstoffen, während die kommerziellen chemischen Produkte besser nicht in großen Mengen in den Körper und in die Umwelt gelangen. "Außerdem versagen industrielle Klebstoffe unter Wasser völlig", stellt Klaus Rischka, Chemiker am Fraunhofer-Institut in Bremen, fest.

Vielfältige Fügetechnik

Nichtsdestotrotz entwickelt sich das Kleben zur Fügetechnik des 21. Jahrhunderts. Immer seltener halten Schrauben die Einzelteile von Möbeln, Flugzeugen und Elektronikgeräten zusammen, mehr als 15 Kilogramm Haftmittel stecken in jedem Auto. Um die Produktpalette zu erweitern, schaut sich die Industrie jetzt bei Tieren um. "Die Natur hat sich bei jeder Spezies etwas Neues ausgedacht. Es gibt eine erstaunliche Vielfalt", schwärmt Janek von Byern.

Seit der Biologe an der Universität Wien von einem Salamander las, der eine angreifende Schlange mit einem klebrigen Sekret überzogen und sie binnen Sekunden bewegungsunfähig gemacht hatte, sodass sie mit einer Schere aus dem Kokon befreit werden musste, ist er von den Klebstoffen aus der Natur fasziniert. Gemeinsam mit dem Salamanderzüchter Günter Schultschik, enträtselt er den Leim der Lurche und will ein künstliches Analogon fabrizieren.

"Im Moment sind die Tiere in Winterruhe, aber im Frühjahr geht es wieder los", schildert von Byern. Dann krault er die Salamander im Nacken. Die austretende milchige Flüssigkeit sammelt er. Das ist ein mühseliges Unterfangen, bei dem seine Finger ständig aneinanderkleben. "Die Forschung ist extrem zeitaufwändig", räumt von Byern ein. Aus diesem Grund hat der japanische Biologe Kei Kamino sein ganzes Leben damit zugebracht, sieben verschiedene Proteine im Seepockenleim zu charakterisieren.

Im Salamandersekret konnte von Byern fünfzehn Proteine nachweisen. Vielleicht sind es noch mehr. "Das wäre der Bioklebstoff mit den meisten Proteinen", sagt von Byern. Er vermutet hinter der großen Fülle ein gänzlich anderes Prinzip als bei Wassertieren. Immerhin erfüllt der Kleister bei terrestrischen Arten auch eine andere Funktion und haftet weniger stark und schon gar nicht im Meer.

Wenn die Salamanderforschung ruht, taucht von Byern im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts in thailändischen Mangrovenwäldern nach Tintenfischen. Vier verschiedene Arten heften sich mit klebrigen Tentakeln an Seegras. Einige fangen mit dem trickreichen Instrument sogar ihre Beute. Doch die Exemplare sind winzig, teilweise nur zwei Zentimeter groß. Entsprechend spärlich ist der Leim an ihren Armen, desgleichen Janek von Byerns Ernte, obwohl er sich wochenlang mit mehr als 60 Kilogramm Gepäck durch den Urwald schlägt.

Diese Knochenarbeit hat Herbert Waite, Biochemiker von der University of California in Santa Barbara und Begründer der marinen Haftforschung, bei der Miesmuschel schon geleistet. Die extreme Haftung ihres Leims führte er auf den Bestandteil Dihydroxyphenylalanin zurück, schlicht "Dopa" genannt. Dopa reagiert flott und bereitwillig mit jedem Material, deshalb können sich die Muscheln felsenfest an Metall und sogar an Teflon hängen, wo eigentlich nichts haften sollte.

Künstliche Eiweiße

Neben Dopa enthält der Muschelzement eine Reihe von Proteinen. "Es wäre aber zu kostspielig, alle künstlich zu erzeugen", räumt der Chemiker Klaus Rischka ein. Die Forscher versuchen dem Meeresklebstoff deshalb möglichst nahe zu kommen, indem sie nur die vernetzenden Eiweißmoleküle samt Dopa synthetisch produzieren. Mehrere Milligramm dieses weißen Pulvers stellen die Fraunhofer-Forscher täglich her. Wird es herkömmlichen Kunststoffen beigemischt, entsteht ein marin inspirierter Kitt, der nicht ganz so fest haftet wie das Muscheloriginal.

Seine Verträglichkeit prüft der Kieferchirurg Robert Sader an Knochen- und Hautzellen. Die Zellen kämen mit dem Fremdstoff gut zurande, sagt er. Allergische Reaktionen, wie sie beim Verzehr von Meeresfrüchten auftreten können, seien nicht zu erwarten. Mit klinischen Studien rechnet er frühestens in fünf Jahren.

Stanislav Gorb vom Stuttgarter Max-Planck-Institut für Metallforschung dämpft die Erwartungen. "Jedes Tesaband hält besser als der Klebstoff der Miesmuschel", sagt der Zoologe, der sich selbst als "skeptischen Bioniker" bezeichnet. Entscheidend sei, wie die Substanz aufgetragen werde. Das Schalentier verdrängt das Wasser, indem es seinen Fuß zu einer Saugglocke wölbt und die Eiweißfäden auf ganz spezielle Art und Weise in dem Hohlraum platziert. Gut möglich also, dass der künstliche Muschelleim seine volle Wirkung nur entfalten kann, wenn er aus einem speziellen Gerät gepresst wird.

Solche Einwände hindern passionierte Bioklebstoffforscher wie Janek von Byern jedoch nicht daran, an eine neue Generation "grüner Klebstoffe" zu glauben - frei von giftigen Chemikalien. (Susanne Donner/DER STANDARD, Printausgabe, 27.01.2010)