STANDARD: Das neue Christian-Doppler-Labor trägt den Begriff "modellbasierte Kalibriermethoden" im Namen. Wozu braucht man diese speziellen Methoden beim Fahrzeugbau?
Jakubek: Moderne Motoren sind hochkomplexe Systeme. Wenn man aufs Gaspedal steigt, betätigt man keinen Seilzug mehr, der an einer Drosselklappe hängt, sondern die Pedalposition wird einem elektronischen Steuergerät zugeführt. Um Motorprozesse zu steuern und zu regeln und ihre Auswirkungen auf das Motorverhalten zu simulieren, bedarf es daher umfangreicher und komplexer Funktionen. Unser Ziel ist es, neue mathematische Modelle zur Kalibrierung und Optimierung von Antriebssystemen zu entwickeln und einzusetzen.
STANDARD: Wieso?
Jakubek: Weil die Anzahl der Kennfelder und Parameter exponentiell mit jeder neuen Möglichkeit, mit der man eine Komponente des Antriebsstrangs aktiv beeinflussen kann, wächst. Die Aufgabe der Regelungstechnik ist es, diese zu optimieren. Dabei muss unterschiedlichsten Zielsetzungen entsprochen werden: Kraftstoffverbrauch, Emissionen, aber auch Fahrbarkeit. Das betrifft den Motor, aber auch das Gesamtfahrzeug. Zum Beispiel sollte man bei einem Automatikgetriebe den Schaltvorgang idealerweise gar nicht mehr mitbekommen. Das alles ist ein Ergebnis eines komplexen Abstimmungsprozesses.
Hametner: Eine isolierte Betrachtungsweise reicht dabei nicht mehr aus, auch das Zusammenspiel verschiedener Komponenten des Antriebsstrangs wird immer relevanter.
Jakubek: Ein Motor muss auch auf dynamische Drehmomentanforderungen unmittelbar reagieren können. Sicherheitstechnisch relevant wird dies beim Elektromotor: Dieser kann innerhalb von Millisekunden sein volles Drehmoment zur Verfügung stellen, was ohne entsprechende Fahrdynamikregelung die Gefahr der Destabilisierung des Fahrzeugs mit sich bringt.
STANDARD: Die Regelungstechnik wird demnach umso wichtiger, je mehr elektronische Komponenten ein Antrieb hat?
Jakubek: Wir sagen: Je mehr Freiheitsgrade in einem System stecken, die man aufeinander abstimmen muss. Wenn also ein Verbrennungsmotor über variable Ventilsteuerung verfügt, muss festgelegt werden, wie diese eingesetzt werden soll. Dies geschieht im Kalibrierprozess.
Hametner: Je mehr Stellgrößen, desto mehr Möglichkeiten, umso komplexer wird diese Aufgabe. Früher war die Abstimmung zum Beispiel einer Abgasrückführung kein Thema. Vieles war durch die Bauteile sogar fest eingestellt.
STANDARD: Zu Hause am Motor rumzuschrauben sollte man also lassen.
Jakubek: Das Verstellen am Mopedvergaser ist eine Form der Kalibrierung. Das war früher noch von Hand zu erledigen. Heute kann das nur noch von spezialisierten Ingenieuren bewerkstelligt werden.
STANDARD: Welche Auswirkungen hat das auf den Fahrzeugbau?
Jakubek: Der Kalibrierprozess wird zwar immer komplexer und aufwändiger und soll dennoch möglichst schnell und effizient durchgeführt werden. Wir wollen letztendlich Verfahren für die zeiteffiziente Generierung dynamischer Modelle des Motors bzw. seiner Teilprozesse entwickeln, die dann im Kalibrierprozess eingesetzt werden.
STANDARD: Wie soll so ein Modell aussehen?
Jakubek: Da wir uns in einem wirtschaftlich engen Rahmen bewegen, müssen Modelle schnell erstellt werden können, die Präzision orientiert sich eng an den Anforderungen aus dem Kalibrierprozess.
Hametner: Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann den Motor auf einem Prüfstand betreiben und alle Möglichkeiten und Varianten durchtesten, oder aber man errechnet ein Modell, das die Analyse aller Eventualitäten und eine entsprechende Optimierung ermöglicht.
Jakubek: Dieser Prozess soll schließlich automatisiert und systematisiert werden.
Hametner: Aktuell wird Kalibrierung zudem vielfach stationär vorgenommen. In Zukunft soll dies auch dynamisch geschehen. Das heißt, wir bilden dynamische Modelle und berücksichtigen auch sogenannte transiente Effekte.
STANDARD: Wann treten diese auf?
Hametner: Zum Beispiel beim Beschleunigen oder bei Schaltvorgängen. Die Auswirkung solcher Vorgänge auf Emissionen soll in Zukunft berücksichtigt werden.
Jakubek: Das Modell sollte die realen Vorgänge abbilden, dafür setzt man ein Simulationsmodell typischerweise ein. Man kann dynamische Modelle aber auch zur Stabilitätsanalyse verwenden.
STANDARD: Wie überprüft man die Qualität eines Modells?
Hametner: Anhand von Validierungsdaten. Man zieht einen Datensatz heran, der bei der Parametrierung gar nicht verwendet wurde, und überprüft damit die Qualität. Das ist essenziell, um zu checken: Haben die Aussagen, die ich treffe, einen Bezug zu dem, was in Wirklichkeit passiert? Je mehr Informationen man hat, desto genauer wird das Modell. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.01.2010)