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Am 26. Jänner 2010 jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum 65. Mal.

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Wenn sich am Mittwoch anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz Staatsleute aus der ganzen Welt - Österreich wird von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer vertreten sein - zum Gedenken im ehemaligen Konzentrationslager versammeln, wird der Fokus der Ansprachen sich wohl auf das "Niemals vergessen" richten.

Doch bereits im Vorfeld der Erinnerungsfeierlichkeiten sorgt eine aktuelle polnische Studie für Aufsehen: Die Sicht der Polen auf das NS-Vernichtungslager hat sich nämlich seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft und der Zensur fundamental geändert.

"Was verbinden Sie mit ,Auschwitz'?", fragen seit 15 Jahren Meinungsforscher die Polen. Und zum ersten Mal seit 1995 antwortet nun die Mehrheit der Befragten: "In Auschwitz fand die Vernichtung der Juden" statt. Was für Westeuropäer historisches Grundwissen ist, ist in Polen eine Sensation. Für den Umfrageleiter und Soziologen Marek Kucia ist dies eine "mentale Revolution".

Vor 15 Jahren sahen 47 Prozent der Befragten in Auschwitz den "Ort des polnischen Martyriums". Nur acht Prozent assoziierten den Holocaust. Obwohl Polen schon 1989 die KP-Diktatur abgewählt hatte, wirkte die Indoktrination nach: "Noch in den 90er-Jahren gab es Rivalität um den Opferstatus", erklärt Kucia. "Heute anerkennen die meisten Polen, dass in Auschwitz beides stattfand - auch die Vernichtung der Juden."

Die Deutschen legten 1940 im 1939 besetzten oberschlesischen Ooewiêcim das Konzentrationslager an. Die ersten Gefangenen - polnische Widerstandskämpfer - mussten die Torinschrift "Arbeit macht frei" schmieden.

Drei Kilometer weiter, im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wurden eine Million Juden, 20.000 Sinti und Roma und 15.000 russische Kriegsgefangene ermordet. Die rund 70.000 Polen kamen im "Stammlager", dem Verwaltungszentrum, um.

Die Umfrage zeigt dennoch, dass es in Polen an historischem Grundwissen mangelt: Die meisten Befragten glauben, in Auschwitz seien sechs Millionen Menschen ermordet worden. Die Frage, für wen die Erinnerung wichtig sei, beantworten heute über 60 Prozent der Befragten mit "für die ganze Welt" - nur 20 Prozent glauben, dass sie für Juden wichtig sei.

Die polnisch-jüdische Historikerin Zofia Wójcicka relativiert diese Perspektive: "Die Konzentration auf polnisches Leid hatte weniger mit Nationalismus als mit der Isolation durch den Eisernen Vorhang zu tun." Wóycicka sieht aber auch im Ausland Bildungslücken: "Im Westen weiß kaum jemand, dass in Auschwitz auch christliche Polen ermordet wurden." (Gabriele Lesser aus Warschau//DER STANDARD, Printausgabe, 27.01.2010)