Der Historiker Zajic ist dem Mittelalter auf der Spur.

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Schon als Teenager pflegte Andreas Hermenegild Zajic ein ungewöhnliches Hobby: Er las und übersetzte lateinische Urkunden. "Gewöhnlich verdirbt man sich seine Interessen und Leidenschaften, wenn man sie professionalisiert. Bei mir ist das zum Glück nicht so", sagt Zajic, der Geschichte und Altphilologie an der Uni Wien studierte und dort heute selbst u. a. Schriftenkunde unterrichtet.

Am Institut für Mittelalterforschung der Akademie der Wissenschaften arbeitet er seit 2002 an der Erfassung von Inschriften bis zum Jahr 1650. "Als Inschrift bezeichnen wir alles, was keine Hand- oder Druckschrift ist. Zu finden sind sie etwa auf Grabsteinen, Bauwerken, liturgischem Gerät, Fahnen, Marterln oder Möbelstücken. Um Siegel und Münzen kümmern sich aber andere KollegInnen, weil uns das Material sonst erschlagen würde", erklärt der Historiker.

Seit 1937 werden in Deutschland und Österreich nach gemeinsamen Richtlinien Inschriften gesammelt, beschrieben, übersetzt und kommentiert herausgebracht. Ein wuchtiges Katalogwerk über den Bezirk Krems erschien 2008 als sechster Band der Wiener Reihe. Viereinhalb Jahre hat der 34-jährige Wiener daran gearbeitet und in diesem Rahmen 2009 auch seine Habilitation vorgelegt. Ganze 530 Denkmäler im politischen Bezirk Krems brachte er so zum Sprechen und wurde dafür mit einem Wissenschaftspreis des Landes Niederösterreich ausgezeichnet. Das Mammutprojekt mit ursprünglich deutschnationalem Hintergrund ermutigt ihn zudem, die Geschichtswissenschaft ab der Zwischenkriegszeit und ihre Protagonisten hierzulande kritisch aufzuarbeiten.

Ein Drittel seiner Arbeit verbringt er mit der fachgerechten Dokumentation vor Ort, ein weiteres Drittel beim Durchforsten von Archiven und den Rest vor dem Computer. Sämtliche Kremser Inschriften hat er selbst besichtigt. Natürlich werden auch nach Abschluss eines Bandes mittelalterliche Inschriften gefunden. Wenn alles gut geht, wird der Wissenschafter über sein Netzwerk informiert, bevor jemand die Inschrift kaputtrestauriert hat. So konnten zuletzt gefinkelte Wandmalereien im Kremser Dominikanerkloster aus 1300 entschlüsselt werden: Die Mönche hatten den Inhalt der geschlossenen Bücherschränke auf den Wänden darüber indiziert. Heute ist in dem Saal der Empfangsraum der Stadtbibliothek untergebracht.

Aus der Katalogisierung entwickelt er detailliertere Forschungsfragen. Bei der aktuellen Edition für Oberösterreich hat er sich in einem FWF-Projekt mit seinem Kollegen Roland Forster der "memoria" auf die Spur geheftet: "Wir vergleichen, welche Ereignisse in Stadt und ländlichem Raum, in Bürgerschaft und Klöstern dokumentiert wurden. Es geht darum aufzuzeigen, wie die Konstruktion von Vergangenheit und ihr Einfluss auf Identität und Gedächt- nis eines Ortes vonstattengehen kann, am Beispiel von Inschriften aus Linz, Enns, Wilhering und Sankt Florian."

Seine Freizeit verbringt der Familienvater gerne im Waldviertel, wo er sich auch als Hobby-Forstarbeiter betätigt - aber niemals Inschriften schnitzt. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 27.01.2010)