Wien - Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) wird morgen, Donnerstag, die angekündigten drei restlichen Sammelklagen gegen den angeschlagenen Finanzdienstleister AWD einbringen. Insgesamt haben die Konsumentenschützer dann die Ansprüche von rund 2.500 Anlegern, die bei AWD Immofinanz- oder Immoeast-Aktien gekauft haben, gerichtlich geltend gemacht. Der Gesamtstreitwert beläuft sich auf fast 40 Mio. Euro. Bisher haben die Sammelklagen schon mehr als eine halbe Million Euro an Gebühren verschlungen. Parallel dazu will der VKI auch weitere Musterprozesse gegen den AWD führen. Falls AWD Deutschland seine Österreich-Tochter in die Pleite schicken sollte, behält sich der Prozesskostenfinanzierer Foris rechtliche Schritte auch gegen die AWD Holding AG und deren Eigentümerin Swiss Life vor.

Zähle man zu den nunmehr fünf VKI-Sammelklagen jene geschätzten 1.500 mutmaßlich Geschädigten hinzu, die einzeln klagen, sowie die mehr als 6.000 Immofinanz-/Immoeast-Anleger, die der Prozessfinanzierer Advofin vertritt, handle es sich bei der Causa AWD um die "größte Prozesswelle der Zweiten Republik", sagte VKI-Chefjurist Peter Kolba am Mittwoch. Von den 6.400 Advofin-Klienten haben aber nur 280 ihre Aktien beim AWD gekauft, sagte Advofin-Chef Franz Kallinger auf APA-Anfrage. Beim bisher größte Zivilprozess der Zweiten Republik, dem WEB-Verfahren, zogen rund 3.200 Personen vor Gericht.

Verjährungsfalle

Mit den Sammelklagen will der VKI die mutmaßlich Geschädigten davor bewahren, "in die AWD-Verjährungsfalle zu tappen" und das "System AWD gerichtlich klären", so Kolba erneut. Der VKI wirft dem AWD systematische Fehlberatung vor. Der Finanzdienstleister habe versucht, seinen Kunden "das Sparbuch madig zu machen" und ihnen die Immo-Aktien als "so sicher wie ein Sparbuch, nur ertragreicher" angepriesen. Entgegen einem Gutachten im Auftrag der Constantia Privatbank hätten die AWD-Mitarbeiter nicht für ein professionelles Portfolio-Management gesorgt und häufig zu einem eindimensionalen Investment geraten. Außerdem seien die Immo-Papiere fälschlicherweise als "mündelsicher" und "Immobilien-Fonds" bezeichnet worden.

Als die Aktienkurse dann zu krachen begannen, habe AWD seinen Kunden zum Halten der Papiere geraten - "weil er Bestandsprovision kassiert hat". Zudem seien die Gesprächsprotokolle den Kunden meist vorausgefüllt zum Unterschreiben vorgelegt worden. Wegen dieser Protokolle hat der AWD bereits eine Verbandsklage eingebracht. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien erklärte 11 der 15 eingeklagten Klauseln für gesetzeswidrig, nun liegt die Causa beim Obersten Gerichtshof (OGH). Die höchstgerichtliche Entscheidung erwartet der VKI für Herbst.

Über die Zulässigkeit der ersten, im Juni eingebrachten VKI-Sammelklage befindet derzeit das OLG. Das Handelsgericht (HG) hatte im November grünes Licht gegeben, der AWD Rekurs eingelegt. "Selten dauert ein Rekursverfahren länger als sechs Monate", sagte VKI-Anwalt Alexander Klauser. Ein OLG-Entscheid im Sinne des VKI wäre zwar für die weiteren Sammelklagen rechtlich nicht bindend, "de facto" hätte er aber "Leitwirkung". 

Rechtliche Schritte gegen AWD-Mutter vorbehalten

 

Damit die Anleger aber nicht "jahrelang" darauf warten müssen, bis Zuständigkeit und Zulässigkeit geklärt werden, will der VKI "die Praktiken des AWD" exemplarisch in Musterverfahren abhandeln. Momentan laufen bereits acht Musterprozesse für zwölf Geschädigte.

Kolba warf dem Finanzdienstleister auch vor, in Prozessen, die er zu verlieren droht, "Geheimhaltungsvergleiche" zu schließen und sich nach außen damit zu brüsten, "angeblich 2009 kein Verfahren verloren zu haben". Einer heute 90-jährigen Klägerin habe der Finanzdienstleister etwa angeboten, 80 Prozent des Schadens zu zahlen, wenn sie dafür nicht an die Öffentlichkeit geht. Diese Strategie will der VKI mit den Musterverfahren "untergraben".

Der deutsche Prozesskostenfinanzierer Foris, der die VKI-Sammelklagen unterstützt und im Erfolgsfall 7,5 bis 25 Prozent der erstrittenen Summe kassiert, geht "fest davon aus, dass wir gewinnen", sagte Vorstand Ulrich Tödtmann. Ein 40-Mio.-Euro-Prozess "ist auch für uns keine Kleinigkeit". Erneut bot Foris dem AWD an, über eine außergerichtliche Einigung zu verhandeln. Dieser hatte stets abgelehnt, den vom VKI geforderten Verjährungsverzicht abzugeben und stattdessen darauf gepocht, alle Fälle einzeln zu prüfen. Die Konsumentenschützer haben die deutsche AWD-Mutter und deren Eigentümerin Swiss Life eingeladen, über eine Verjährung zu sprechen, aber bisher keine Antwort bekommen.

Die beiden "sollen nicht glauben, dass sie sich da raushalten können. Die Leute vergessen nicht, wenn man Gewinne einstreift, sie dann aber mit den Schäden im Regen stehen lässt", meinte Kolba. Sollte AWD Deutschland seinen Österreich-Ableger "opfern", "dann werden wir sehr genau prüfen, wie man einen Haftungsdurchgriff auf die letztlichen Eigentümer rechtlich durchsetzen kann", so Tödtmann. "Wir kennen zwar keinen Gewinnabführungsvertrag, aus dem sich die Haftung eindeutig ergeben könnte", sagte Kolba zut APA. Die wirtschaftliche Beherrschung und die Cash-Pooling-Verträge sprächen jedoch für einen Haftungsdurchgriff auf die Mütter.

Keine Anzeichen für Pleite

Derzeit gebe es aber "keinerlei Anzeichen" für eine Pleite des AWD Österreich, betonten Kolba und Tödtmann auf Nachfrage. Der VKI geht davon aus, dass der Finanzdienstleister im Falle einer Verurteilung den Schaden bezahlen könnte. Dennoch solle sich die deutsche AWD Holding über das Image der Marke AWD Gedanken machen.

Bisher haben die VKI-Sammelklagen schon mehr als eine halbe Million Euro an Kosten verursacht, der größte Posten dabei sind die Gerichtsgebühren, sagte der Foris-Vorstand.

Aus der Sicht von VKI-Anwalt Alexander Klauser ist die Form der Sammelklage zwar "keine optimale Lösung", aber im Falle des AWD die einzige Möglichkeit, wie die mutmaßlich Geschädigten zu ihrem Recht kommen können. Der AWD habe nämlich darauf gesetzt, dass tausende Kleinanleger wegen des hohen Risikos nicht vor den Kadi ziehen. Bei Schäden zwischen 5.000 und 15.000 Euro könnten die Prozesskosten den Streitwert schon in erster Instanz übersteigen. Und die vom VKI vertretenen AWD-Kunden haben mehrheitlich Beträge in dieser Größenordnung in Immofinanz-/Immoeast-Aktien investiert. Um die Kosten zu senken und die Gerichte zu entlasten, müsse endlich die Gruppenklage eingeführt werden, urgierte der VKI-Anwalt erneut. Kolba: "Mehr Personal ist nicht die einzige Antwort." Die Sammelklage ist Klauser zufolge "letztlich nur eine Hilfskonstruktion", da die mutmaßlich Geschädigten ihre Ansprüche an den VKI abtreten und nicht selbst als Kläger auftreten. 

AWD geht zum Gegenangriff über

 

AWD hat erneut zum Gegenschlag gegen den VKI ausgeholt. Diesem gehe es "in erster Linie nicht um die Anleger, sondern um ihn selbst und seine politische Wirkung". Beispielsweise sei jene betagte Klägerin, die gegen den AWD vor Gericht gezogen war, "zum Spielball der Strategie und Prozesstaktik des VKI" geworden. Die Konsumentenschützer hätten die Frau nämlich über das Vergleichsangebot des AWD "nicht einmal umfassend informiert". Im Hinblick auf ihr Alter habe der Finanzdienstleister der Frau einen "möglichen jahrelangen Rechtsstreit" ersparen wollen.

Den VKI-Vorwurf der systematischen Fehlberatung wies der AWD in einer Aussendung erneut vehement zurück. In einem Verfahren habe das Handelsgericht (HG) die "Einzelfallbezogenheit der Ansprüche" ausdrücklich betont und festgehalten, dass der AWD seiner Aufklärungs- und Beratungspflicht nachgekommen sei. Dabei handle es sich ausgerechnet um jenes Verfahren, das die VKI-Anwälte bis zur Abweisung der Klage als Musterprozess bezeichnet hätten.

Weiters sei es "völlig unklar", wer überhaupt noch an der VKI-Sammelklagen-Aktion teilnimmt und ob Ansprüche nicht bereits an Anleger zurückübertragen wurden. In der "Rahmenvereinbarung", die der VKI mit den Klagsteilnehmern geschlossen hat, heiße es nämlich: "Ansprüche, die bis zum 31.12.2009 nicht gerichtlich geltend gemacht wurden bzw. zu denen kein Verjährungsverzicht des AWD vorliegt, werden den Teilnehmern rückzediert. Diese Teilnehmer scheiden dann aus der Aktion wieder aus und müssen für sich entscheiden, wie sie weiter vorgehen." Bis Ende 2009 habe der VKI laut eigenen Angaben aber nur Ansprüche für rund 250 mutmaßlich Geschädigte geltend gemacht, so der AWD.

Auch die VKI-Aussagen zur Verbandsklage, die die Konsumentenschützer gegen den AWD angestrengt haben, sind dem Finanzdienstleister ein Dorn im Auge. Die vom VKI kritisierten Gesprächsnotizen seien zum Großteil gar nicht mehr in Verwendung. (APA)