Bis 1975 war der Mann als Oberhaupt der Familie gesetzlich verankert. Seit ´75 gilt ein partnerschaftliches Prinzip für die Ehe, das mittlerweile durch die Paragraphen 91 und 95 ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) des Eherechtsänderungsgesetzes (EheRÄG) konkretisiert wurde. Der Kern dieser gesetzlichen Bestimmung ist die partnerschaftliche Gestaltung der Haus- und Versorgungsarbeit, eine Verweigerung dieser Verpflichtung kann demnach als Eheverfehlung gelten. Die Politikwissenschaftlerin Hildegard Steger-Mauerhofer untersuchte die Rolle dieser gesetzlichen Regelung bei strittigen Scheidungen. Im dieStandard.at-Interview sprach sie über das Geschlechterbild bei Gericht und über die fehlende Kenntnis über die Pflicht, Hausarbeit zu leisten.
dieStandard.at: Seit wann gibt es das aktuelle Eherechtsänderungsgesetz?
Hildegard Steger-Mauerhofer: Es ist 1999 unter der damaligen Frauenministerin Barbara Prammer beschlossen worden. Aber die Vorgeschichte dazu hat schon Helga Konrad angestoßen. Sie hat zu dem Stichwort "halbe/halbe" die vielbeachtete gleichnamige Kampagne gestartet.
dieStandard.at: Diese Kampagne vermittelte aber nicht, dass es auch um eine Durchsetzung einer gesetzlichen Verankerung der Teilung von Haus-und Versorgungsarbeit gehen sollte.
Steger-Mauerhofer: Nein. Helga Konrad hatte ursprünglich geplant, erst diese Kampagne zur Bewusstseinsbildung zu machen und dann in Folge ein Gesetz zu diesem Thema. Ein Gesetzesentwurf wurde von Konrad schon 1995 eingebracht, über den auch in verschiedenen Gremien beraten wurde. Die Kampagne "halbe/halbe" wurde im Dezember 1996 gestartet. Da hat es dann Fernsehspots oder auch T-Shirts mit der Aufschrift "Ganze Männer machen halbe-halbe" gegeben. Konrad wollte diese bewusstseinsbildende Kampagne eigentlich über mehrere Jahre führen. Sie ist aber dann Anfang 1997 aus der Regierung entlassen worden und die Kampagne verschwand wieder von der Bildfläche. Barbara Prammer hat 1997 diese Gesetzesinitiative von Konrad wieder aufgegriffen und hat auch gleich eine Studie über die Verteilung der Haus- und Versorgungsarbeit in Auftrag gegeben, die klar zeigte, dass noch immer vorwiegend Frauen jene Arbeiten machen, die keineR gern macht. Das Eheänderungsgesetz wurde schließlich im Juni ´99 im Parlament beschlossen und trat dann im Jänner 2000 in Kraft.
dieStandard.at: Was genau regelt dieses Gesetz und wann wird es relevant?
Steger-Mauerhofer: Auch in einer Ehe gibt es Rechte und Pflichten, das gilt auch für die eingetragenen Partnerschaften. Wenn man diesen Schritt macht, sollte man wissen, dass man die Haus- und Versorgungsarbeit partnerschaftlich teilen muss. Bei strittigen Scheidungen kann die partnerschaftliche Teilung von Rechten und Pflichten zu einem Problem werden. Strittige Scheidungen werden alle unter dem Paragraph 49 des EheRÄG geschieden, in diesen Fällen ist die Frage wichtig, was für die Ehezerrüttung der Grund war. Das kann Gewalt sein, das kann Fremdgehen sein oder eben die nicht partnerschaftliche Teilung der Haus- und Versorgungsarbeit.
dieStandard.at: Wird verweigerte Hilfe bei der Haus- und Versorgungsarbeit bei Scheidungen oft angeführt?
Steger-Mauerhofer: Nein, das ist eher ein Geheimnis. Eine von mir interviewte Scheidungsanwältin meinte, dass man bei vielen Scheidungen erst später draufkommt, dass die Nichtbeteiligung an diesen Arbeiten oft mit ein Grund für eine Scheidung war. Anfangs werden eher andere Probleme angeführt.
dieStandard.at: Für viele Frauen ist es also erst mal nichts ungewöhnliches, dass sie allein für die Hausarbeit und die Kinder zuständig waren?
Steger-Mauerhofer: Es stimmt schon, dass viele Frauen das als gegeben hinnehmen. Aber bei Scheidungen wird so etwas natürlich offengelegt. Im Paragraphen 95 ist auch explizit ausformuliert, dass die Person, die berufstätig ist, dennoch zur Mithilfe verpflichtet ist. Natürlich im Ausmaß seiner oder ihrer Möglichkeiten. Wenn eine Frau nicht berufstätig ist, kann man natürlich nicht halbe-halbe machen, aber wenn beide arbeiten, muss diese Arbeit partnerschaftlich geregelt werden.
dieStandard.at: Welche Rolle spielen die Paragraphen 91 und 95 bei strittigen Scheidungen?
Steger-Mauerhofer: Eine nicht sehr große. Als sie noch das Amt der Frauenministerin inne hatte meinte Prammer, dass es in Scheidungsverfahren selten zu einem Richterspruch kommt, indem die Nichtaufteilung der Hausarbeit zu Gunsten der Frau ausgegangen wäre. Mich hat interessiert, welche Relevanz das Gesetz seit der Einführung im Jahr 2000 in den Urteilen hat. Ich habe die Ehe- und Familienrechtlichen Sammlungen aus den Jahren 2000 bis 2006 auf das Vorkommen der Paragraphen 91 und 95 bei den strittigen Scheidungen durchforstet, zum größten Teil wurde auf diese nicht eingegangen. Ich habe schließlich jene fünfzehn Fälle genauer untersucht, in denen auf diese Paragraphen – wenn auch teilweise nur sehr am Rande – eingegangen wurde. Die Gerichte haben mir die Unterlagen in anonymisierter Weise zur Verfügung gestellt.
dieStandard.at: Wo orteten sie in den Scheidungsurteilen geschlechterspezifische Vorurteile?
Steger-Mauerhofer: In einem Fall hat die Frau während ihrer Ehe den Wunsch geäußert, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Weil ihr Mann bei der Arbeit zuhause nicht mithalf, konnte sie sich diesen Wunsch wegen der Überlastung durch die Haus- und Verpflegungsarbeit nicht erfüllen. Es ist aber gesetzlich verankert, dass die einvernehmliche Gestaltung der Haus- und Pflegearbeit unter Berücksichtigung bestimmter Gründe wieder aufgegeben werden kann, das heißt: Wenn die Situation so ist, dass die Partnerin zuhause ist und die Hausarbeit erledigt (in so einem Fall kann man natürlich nicht halbe/halbe fordern), aber der Wunsch besteht, arbeiten zu gehen, dann muss man sich gemeinsam über eine Arbeitsaufteilung Gedanken machen, mit der die Erwerbstätigkeit für die Frau möglich wird.
In diesem Fall ist das Gericht auf den Wunsch der Frau einer Erwerbstätigkeit nachzugehen einfach nicht eingegangen. Das hätte aber Berücksichtigung finden müssen. Die traditionelle geschlechtspezifische Arbeitsteilung ist in den Köpfen der RichterInnen also noch stark verankert: Die Männer in der Öffentlichkeit, die Frauen im Privaten. Das erwähnte Urteil ist übrigens zum Nachteil der Frau ausgegangen.
dieStandard.at: Was bedeutete das für die Betroffene konkret?
Steger-Mauerhofer: Zuerst lautete das Urteil auf "gleichteiliges Verschulden", woraufhin die Frau in Berufung ging, die allerdings auch mit einem gleichteiligen Verschulden ausging. Solche Urteile wirken sich natürlich auch auf den Unterhalt aus.
Schlussendlich heißt das, dass diese gesetzliche Regelung, selbst wenn sie nicht eingehalten wird, keine Erwähnung findet. Das Gericht hätte auch die Funktion zu belehren. Es hätte festgehalten werden müssen, dass der Mann zur Mithilfe verpflichtet gewesen wäre und dass das auch im Gesetz verankert ist. Auf gesellschaftspolitischer Ebene könnte die Rechtsprechung einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung leisten. Wenn der Öffentlichkeit bekannt wäre, dass eine partnerschaftliche Aufteilung der Haus- und Versorgungsarbeit Pflicht ist, hätte das sicher Einfluss auf die private Arbeitsteilung.
dieStandard.at: Gibt es bei den RichterInnen ein Bewusstsein für diese Problematik?
Steger-Mauerhofer: Ich habe mit einer Familienrichterin gesprochen, die die Hausarbeit ganz allein erledigt und die sich darüber freute, dass ihr Mann sie dafür lobt. Wie soll mit einer solchen Einstellung ein kritisches Urteil zustande kommen?
Es gibt auch eine soziologische Studie, die zeigte, dass die Werte der RichterInnen für die Urteile ganz entscheidend sind. Diese Studie zeigt auch, dass es hier noch ein großes Defizit gibt – vor allem in Bereich des Familienrechts. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 28.1.2010