Exzentrisch, doch diesmal nicht genügend souverän: Pianist Fazil Say.

Foto: Bodo Marks

Wien - Jemand hat einmal errechnet, wie viele Meter ein Klavier in die Höhe schösse, würde man die ganze Energie auf einmal anwenden, mit der es ein Pianist über die Dauer eines Konzerts traktiert. Was auch immer dabei herauskam: Beim türkischen Shootingstar Fazil Say müsste man diese Rechnung noch einmal durchgehen.

Schier grenzenlose Kraft haben viele seiner Kollegen auch, aber so wie er geht keiner ständig aufs Ganze: Bei jeder Gelegenheit knallt es, kein Forte-Akkord, den er nicht krachen lässt, als wäre gerade hier im Stück der ultimative Höhepunkt. Dass die Einheit des Ganzen, der Werke, gerade dadurch aus den Fugen geraten kann, scheint Say wenig zu kümmern.

Insofern ist sein Spiel in mehrerer Hinsicht durchgeknallt. Dabei geht es weniger um seine exzentrischen Gesten, die lauernde Haltung, bevor er sich ins Zeug legt, oder um die exaltierten, an Glenn Gould erinnernden Bewegungen, mit denen er sich gleichsam selbst dirigiert, sobald er eine Hand frei hat.

Es geht ausschließlich um das klingende Resultat. Dessen Extreme und Verrücktheiten, die bei anderen Live-Erlebnissen von seiner Persönlichkeit getragen schienen, waren allerdings diesmal weder technisch noch gestalterisch ausreichend fundiert. Zwar wurde eines klar: Say denkt vom Klang her.

Nicht nur Bachs Präludium und Fuge für Orgel in a-Moll in der Bearbeitung von Liszt wurde so zu einer Klangwolke. Auch Janáèeks Sonate 1. X. 1905 kam mit schönen Pastellfarben daher, wirkte aber verwaschen und schlampig, ebenso wie weite Strecken von Liszts h-Moll-Sonate, bei der sich Say durch rasende Tempi und viele nicht mehr bewältigte Stellen selbst im Weg stand.

Dass er Prokofjews 7. Sonate mit Noten spielte, wäre an sich keine Erwähnung wert. Doch ließ sich auch dadurch vermuten, dass er nicht in bester Form war - ebenso angesichts dessen, dass er das Stück weniger markant spielte, weil er hier über weniger Reserven verfügte. Das würde auch erklären, warum er sich bereits nach einer Zugabe vom zeitweise gelangweilten, am Ende aber haltlos jubelnden Publikum verabschiedete. Doch auch Summertime, das er jahrein, jahraus in einer verjazzten, dabei immer sehr ähnlichen Version spielt, hat man von ihm schon inspirierter gehört. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.1.2010)