Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld spricht im Gespräch mit Gudrun Springer über ihre ungewöhnlichen Mittel, Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen, Situationen in Lebensgefahr und gemischte Gefühle beim Prozess gegen John Demjanjuk.

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Standard: Dieses Gespräch findet auf den Tag genau 65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz statt. Was bedeutet dieser Tag für Sie?

Klarsfeld: Ich hätte eigentlich auch nach Auschwitz fahren sollen. Mein Mann ist dort. Viele Staatschefs wurden erwartet. Dass so etwas Offizielles noch so viele Jahre nach der Befreiung durchgeführt wird, ist bewundernswert.

Standard: Sie sind anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Die Kinder von Maison d'Izieu" über jüdische Kinder, die aus Frankreich nach Auschwitz deportiert wurden, in Wien. Wie kam es, dass Sie sich damit beschäftigt haben?

Klarsfeld: Das kam durch die Affäre Barbie. Klaus Barbie (der für die Deportation der Kinder verantwortlich war, Anm.) war nach Südamerika abgewandert. Eine Gruppe Widerstandskämpfer hatte Strafantrag in München gestellt, ein Staatsanwalt das Verfahren aber eingestellt, mit der Begründung, Barbie habe nicht wissen können, dass die jüdischen Kinder in den Tod gehen. Das hat uns aufgeregt, und wir haben demonstriert.

Standard: Klaus Barbie, der 1987 verurteilt wurde, war nicht der einzige Kriegsverbrecher, gegen den Sie Druck ausgeübt haben.

Klarsfeld: Ja, Kurt Lischka war der Wichtigste. Wir hatten auch aufgedeckt, dass Alois Brunner (einer der wichtigsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns) unter falschem Namen in Damaskus lebte - aber die Syrer sagten immer: 'Wir kennen ihn nicht, wir wissen nicht, wo er ist.' Der größte Prozess, den wir durchführen konnten, war der gegen Kurt Lischka (verantwortlich für die Deportation von 76.000 Menschen aus Frankreich).

Standard: Sie haben sogar versucht, ihn zu entführen.

Klarsfeld: Wir haben demonstriert, versucht, ihn zu entführen, gezeigt, dass wir ihn töten könnten mit einem nicht geladenen Revolver. Das waren Druckmittel, die wir ausüben mussten auf die deutsche politische Gesellschaft. Und wir haben sehr viele Dokumente zusammengetragen, die dann zum Prozess auf dem Tisch lagen.

Standard: Sie selbst waren auch immer wieder in Lebensgefahr?

Klarsfeld: Unser Auto ist in die Luft gesprengt worden, und wir haben eine Paketbombe erhalten.

Standard: Woher kommt Ihre Motivation?

Klarsfeld: Wir waren ein ganz komisches Ehepaar: Mein Vater war bei der Wehrmacht, mein Schwiegervater ist in Auschwitz ums Leben gekommen. Hinzu kam die Tatsache, dass ich nach Paris ging, in ein Land, das von den Deutschen besetzt war. Mein Mann, Geschichtslehrer, sagte mir, was in Deutschland 1933-45 los war.

Standard: Sie waren auch in Österreich gegen Kurt Waldheim aktiv?

Klarsfeld: Wir standen immer wieder mit Plakaten in der Menge und versuchten zu verhindern, dass er im westlichen Ausland aufgenommen wird. Er war ja dann auch international angeschlagen.

Standard: Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie derzeit den Prozess gegen John Demjanjuk?

Klarsfeld: Es wird schwer, Demjanjuk etwas nachzuweisen - und sein Zustand ... So ein Schauprozess bringt ein schlechtes Image. Ich nehme an, der Prozess wird mit Einstellung enden, weil Demjanjuk zu krank ist. Wir sagten aber immer, man sollte den NS-Verbrechern bis zum Schluss ein Angstgefühl geben.

Standard: Die Zeitzeugen sterben langsam alle. Wie können ihre Informationen trotzdem weitergegeben werden?

Klarsfeld: Es sind viele Videos aufgenommen worden, und die Gedenkstätten sind sehr wichtig. In Frankreich gibt es da wirklich viel, auch in den Schulen. In Österreich ist es noch weniger, da bestehen leider große Unterschiede.

Standard: In Wien sind heuer Wahlen. Ein Erstarken der Rechten wird befürchtet. Wie kommt das aus Ihrer Sicht?

Klarsfeld: Wenn es Krisen gibt und Ausländerprobleme, dann finden die Rechten Zuspruch. (Gudrun Springer/DER STANDARD, Printausgabe, 28. 1. 2010)