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Mit Beifall wie vor dem US-Kongress im Juli 2003 kann Tony Blair im Londoner Untersuchungsausschuss nicht rechnen.

Foto: Reuters/Reed

Dabei geht es für Großbritanniens Elite um mehr als nur die Verantwortung für das Kriegsdebakel.

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Rechtzeitig zum wichtigsten politischen Ereignis seit Jahren haben frühere Londoner Spitzenbeamte ihre "Initiative für besseres Regieren" vorgestellt. Das Kabinett müsse gestärkt werden, heißt es da zum Beispiel, "um einen Premierminister daran zu hindern, Entscheidungen von großer Tragweite bis hin zur Kriegserklärung zu treffen, ungehindert von den Kabinettskollegen" .

Namen werden nicht genannt, aber natürlich weiß jeder, wer gemeint ist: Tony Blair (56). Morgen, Freitag, macht der Ex-Premier und millionenschwere Investment-Banker seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss, der Vorgeschichte und Verlauf der britischen Beteiligung am Irak-Krieg aufklären soll. 60 Zuhörer fasst der Saal des Tribunals, 20 Karten sind für Angehörige gefallener Soldaten reserviert. Blairs Auftritt wird live in Internet und Fernsehen übertragen.

So war es in den vergangenen Tagen auch, als Blairs Chefberater Alastair Campbell, der damalige Außenminister Jack Straw und die wichtigsten Rechtsberater der Regierung zu Wort kamen. Minutiös werden Aussagen analysiert und mit damaligen Erkenntnissen verglichen - schließlich geht es, wie der frühere Tory-Außenminister Malcolm Rifkind sagt, um den "schwersten außenpolitischen Fehler seit Jahrzehnten" . Kein Feldzug gilt heute so unumstritten als Debakel, ja für die britischen Besatzer in der irakischen Südprovinz Basra geradezu als Demütigung. Dass der einstige Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokratie erstmals öffentlich dafür zur Rede gestellt wird - daraus speist sich das riesige Interesse der Öffentlichkeit. Das Tribunal unter Vorsitz des Ex-Staatssekretärs John Chilcot hat in den vergangenen Wochen bewiesen, dass es hart nachfragen kann.

"Ein Deal in Blut"

Blair dürfte sich vor allem gegen die Aussage des früheren britischen Botschafters in Washington, Chris Meyer, zur Wehr setzen. Dieser glaubt, Blair habe bereits Anfang April 2002 "einen Deal in Blut" abgeschlossen, mit anderen Worten: Der Brite sagte knapp ein Jahr vor dem Krieg den Amerikanern Unterstützung zu für den gewaltsamen Umsturz des Saddam-Regimes. Die monatelangen Verhandlungen in der UN, die Einigung auf die Resolution 1441, die Beauftragung der Waffeninspektoren - eine Farce, dazu angetan, dem angloamerikanischen Kriegswillen einen diplomatischen Firnis zu verleihen.

Blair selbst hat sich in einem BBC-Interview vor Weihnachten zu seiner "sehr einsamen Entscheidung" geäußert und die Bedrohung durch das Regime Saddam Husseins betont. Auch ohne die (nicht vorhandenen) Massenvernichtungswaffen "hätte ich es für richtig gehalten, ihn von der Macht zu vertreiben".

Seit dem Irak-Krieg, sagt der Guardian-Kolumnist Jonathan Freedland, sei "das Vertrauen zwischen dieser Regierung und der Nation zerstört. Unser Glaube in die Politik wurde vergiftet." So gesehen könnten die Auftritte von Straw, Blair und Premier Gordon Brown, der in wenigen Wochen an der Reihe ist, der Anfang eines Heilungsprozesses werden. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2010)