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Reflektionen eines Präsidenten: Barack Obama spricht, San Francisco schaut zu.

Foto: AP/Berger

Willkommen in der Realität! So oder so ähnlich könnte die Botschaft lauten, die US-Präsident Barack Obama in seiner ersten State of the Union-Address der Nation mitgeben wollte. Das Erstaunlichste bestand in Obamas offensiv zur Schau gestelltem Pragmatismus. Die Amerikaner, so scheint die Einsicht des Präsidenten, wollen Politik zum Anfassen, keine Visionen. Solcherart erfand sich der erste schwarze Präsident der USA heute Nacht neu. Ein Relaunch, der auch dringend Not tat.

Hope, Change und all die anderen wundersamen Worte, die ihn vor einem Jahr erst ins Weiße Haus geschwemmt haben, sie zählen nämlich nicht mehr viel in einer Zeit, in der das Washingtoner Politestablishment so gespalten ist wie schon lange nicht mehr. Zwar verfügen die Demokraten, wie vom Präsidenten erwähnt, auch nach der Schlappe von Massachusetts noch über eine satte Mehrheit in den beiden Kammern des Parlaments.

Aber an die Stelle der Euphorie ist innert eines Jahres eine gehörige Portion Frust getreten. Die „Bi-Partisanship", also die Zusammenarbeit der großen Parteien für ein größeres Ganzes namens Amerika, daran jedenfalls ist Präsident Obama bisher weit mehr gescheitert als an allen anderen, teils überzogenen Erwartungen. Und kaum ein anderer vermeintlicher Fehler ist ihm weniger anzukreiden. Die Republikaner blockieren nämlich, wo sie nur können. Und wenn sie es nicht tun, legen demokratische Abweichler ihrem Präsidenten Steine in den Weg.

"Ich dachte, dafür bekomme ich Applaus", sagte Obama und blickte nach links. Er sprach direkt die Republikaner an, die seine Bilanz ("Wir haben die Steuern für 95 Prozent der arbeitenden Amerikaner gekürzt") mit wenig mehr als eisigem Schweigen bedachten.

Das war natürlich kokett. Applaus von den Rängen der Republikaner zu erhalten, damit rechnet Obama nicht. Mit der Gesundheitsreform ist derzeit ohnehin kein Blumentopf zu gewinnen. Und mit dem zusehends unbeliebteren Krieg in Afghanistan auch nicht. Gerade drei Mal erwähnt der Präsident den Waffengang am Hindukusch.

Eine simple Tastenkombination reicht aus um zu wissen, worauf Obama hinaus will: "Strg + F". 23 Mal kommt das Wort "Jobs" in der etwas über eine Stunde dauernden Rede vor. Alle drei Minuten also die Wiederkehr des Zauberwortes, mit dem der in Umfragen abgestürzte Obama Boden gutmachen will.

Weil er weiß, dass ihn die monströse Leistung, Amerika vor einer neuen Great Depression bewahrt zu haben, nicht retten wird. Und dass die Amerikaner im Moment von Visionen nichts hören wollen. Schließlich muss man sich den entsprechenden Arzt auch leisten können. (Florian Niederndorfer/derStandard.at, 28.1.2010)