Jon Spencer auf der Balz mit Heavy Trash. Elvis mag tot sein, aber der Rock ’n’ Roll, der lebt. Und wie!

Foto: Christian Fischer

Als Rock 'n' Roll noch nicht Diskurs, sondern Hysterie und frühzeitige Entladung verursachte.
Eine Weihestunde.

Wien - Elvis Presley? Trotz nachgesagter Unsterblichkeit wahrscheinlich doch tot. Charlie Feathers? Ebenfalls. Lux Interior? Viel zu früh gegangen! Hasil Adkins? Seufz! Der Rock-'n'-Roll-Fan, der seiner Gesinnung mit Königskoteletten und anderen einschlägigen Merkmalen Ausdruck verleiht, hat es in der neumodernen Zeit schwer. Zwar gibt es herzhafte Rockabilly-Combos sonder Zahl, aber nur wenige besitzen so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Das gewisse Etwas.

Zu den großen Individualisten des Genres, in dem es nie später als 1959 werden darf, hat sich der US-Amerikaner Jon Spencer gesellt, als er mit Matt Verta-Ray die Band Heavy Trash gründete. Dieser Vierer wütete am Mittwoch standesgemäß gekleidet und mit Stehbass, zwei Gitarren und schlankem Rumms aufgestellt im Wiener Flex.

Die Kirche Elvis

Spencer darf man als für diese Mission nachgerade auserwählt bezeichnen. Der laut eigenen Angaben spät zur Kirche Elvis konvertierte Sänger und Gitarrist betrieb vor Heavy Trash drei andere beeindruckende Projekte: Die Noise-Punk-Band Pussy Galore, dann die Jon Spencer Blues Explosion, mit der auf die brutale-gache Art Punk, Blues und Garagenrock aufeinander krachen ließ. Zwei Gitarren und ein Schlagzeug - fertig. Das war lange, bevor The White Stripes mit demselben Schmäh die Welt eroberten - und um einiges nachdrücklicher.

Schließlich formierte er mit seiner Frau Christina Martinez noch die Band Boss Hog, die Soul mit Biss versah, dabei aber Zugeständnisse an den Groove machte.

Damit wurde das glamouröse Paar für einen Sommer lang gar zum "sexiest couple of New York City" , Mitte der 1990er war das, als beide für Chanel warben und verrucht von den Bussen des Big Apple blickten. Mit Heavy Trash hat sich Spencer von der Hipster-Metropole aber in rurale Gefilde verabschiedet und spielt heftig rumpelnden, dreckigen und scharf gewürzten Rock 'n' Roll.

Kunstvoller Irrsinn

Live bestätigte er seine Reputation als 110-Prozent-Erscheinung eindrucksvoll. Zwar brauchte die Band etwas, um auf Betriebsgeschwindigkeit zu kommen. Dann wurde die Show aber zur Weihestunde, die einen Querschnitt durch das Heavy-Trash-Werk bot: Songs wie The Loveless, Gee, I Really Love You oder I Want Oblivion transportierten eine rare Intensität und Dringlichkeit. Kunstvoll über ihre Spannkraft strapazierte Silben ließen Spencer japsen und kieksen und verliehen der Show jenen Irrsinn, wie man ihn von eingangs genannten Ausnahmekünstlern kennt.

Ruhigere Stücke führten da ein Außenseiterdasein, lediglich in Blues-Gefilde zweigte man ein paar Mal ab. Ansonsten wurde ein Programm gegeben, das oft übergangslos auf beschleunigter Zug-Rhythmus-Basis - Tschugati-Tschugati - all den mythologischen und diskursiven Tand wegschob, der sich in gut sechs Jahrzehnten um den Rock 'n' Roll angesammelt hat: Hau weg, den Dreck!

Balzen und bolzen

Stattdessen wurde gebalzt und gebolzt, was das Instrumentarium und der männliche Fortpflanzungsinstinkt hergaben. Hysterie und Gebell: "Heavy Trash! Yeehaa!" Rock 'n' Roll bedeutet nämlich immer auch Imponiergehabe und Brautwerbung: Schönste, ich renn dir die Tür ein, auch wenn sie längst schon offensteht!

So viel Hingabe, und mag sie noch so deppert sein, nennt man mitunter auch Liebe, den Veredelungszustand der Triebhaftigkeit. Und kaum jemand vermittelt dieses Gefühl zurzeit eindringlicher als Heavy Trash. Touchdown! (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.1.2010)