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Martin Rettl bei Olympia 2002. Der Tiroler arbeitet heute als Fluglotse und urlaubt als Trainer des US-Skeleton-Teams.

APA-Foto: Harald Schneider

Innsbruck/Wien - "Was soll ich sagen? Die Erleichterung bei der Zieldurchfahrt natürlich. Und die Preisverleihung. Das waren schon emotionale Momente." Martin Rettl, 2002 in Salt Lake City Silbermedaillengewinner im Skeleton, ist auch heute noch für Überraschungen gut. Zum Beispiel wenn er gefragt wird, was ihm in Erinnerung geblieben ist vom 20. Februar 2002, was er damals, als 28-Jähriger, gefühlt habe. Da kommen dann keine Geschichten über den Mythos Olympia, keine Erinnerungen an andere, besondere Wahrnehmungen. Es war, wie es war.

Der Innsbrucker Martin Rettl galt als der schrägste, vor allem aber bunteste Vogel unter den wilden Hunden, die sich bäuchlings und Kopf voran in die Eiskanäle dieser Welt zu stürzen pflegen. Bunt, weil er ganz gerne seine Haare färbte. Er färbt als 36-Jähriger immer noch. "Derzeit trage ich Schwarz und Violett."

In Salt Lake City überzeugte Rettl mit einem lustigen Schopf in den Farben der olympischen Ringe, also Blau, Gelb, Schwarz, Grün und Rot. Im Hinterhaupthaar waren die Ringe einrasiert, auf rot-weiß-rotem Grund. Fünfeinhalb Stunden saß er dafür beim Friseur, dessen Werk gute Bilder ergab, aber wohl auch ein leicht verzerrtes Bild von Martin Rettl. Denn der Mann ist nicht sonderlich ausgeflippt. Er war es auch nie. Selbst nennt er sich "einfach anders, ich will nicht auf der Welle mitschwimmen, deshalb auch das mit dem Haarefärben".

1996 begann der HTL-Absolvent in Wien seine Ausbildung zum Fluglotsen, nach deren Beendigung färbte er erstmals, "tiefblau". Derzeit versieht Rettl Schichtdienst im Tower des Innsbrucker Flughafens, am Radargerät und am Funk. Dazu bedarf es voller Konzentration, Flausen im Kopf des Lotsen wären gefährlich. "Ich bin für die Sicherheit vieler Menschen verantwortlich", sagt Rettl. An Skeleton darf er da keine Sekunde denken. "Der Sport und der Beruf haben nie zusammengepasst." Der eine wurde aber durch den anderen möglich, denn Rettl war stets Amateur reinsten Wassers. "Ich habe den olympischen Gedanken gelebt, manchmal auch unfreiwillig, weil ich schon ganz gerne einen Sponsor gehabt hätte."

Im Eiskanal war Rettl ausschließlich für sich selbst verantwortlich. Gereizt haben ihn vor allem die Geschwindigkeiten bis zu 140 km/h, die auf dem Schlitten zu erreichen sind. "Aber" (quasi ein typischer Rettl-Sager) "es schaut spektakulärer aus, als es ist. Man wächst damit." Als wilder Hund hat sich Rettl auch nie gesehen. Skeleton sei schließlich die natürlichste Art des Rodelns. "Kopf voran den Hügel runter, Kinder machen das automatisch so." Er hat es als Kind auch so gemacht, seine Skeleton-Schnupperfahrt absolvierte Rettl auf Vermittlung eines Freundes seines Vaters Rudolf 1989 auf der Bahn in Innsbruck-Igls, "vom Damenstart aus natürlich".

In die Weltspitze stieß Rettl erst Jahre später vor, der erste große Sieg ereignete sich 2001, Rettl wurde in Calgary Weltmeister. Und weil er kurz danach bei der Olympia-Generalprobe binnen 48,60 Sekunden einen Rekord in die rund 1300 Meter lange, ultraschnelle Bahn in Park City gezaubert hatte - "Er gilt heute noch, ist der älteste Bahnrekord im Skeleton überhaupt" - reiste er zumindest als Mitfavorit zu den Winterspielen 2002, bei denen Skeleton erstmals seit 1948 wieder auf dem olympischen Programm stand.

Es reichte dann zu Rang zwei hinter dem legendären Lokalmatador Jim Shea. Schneefall verhinderte den goldenen Lauf. "Das waren nicht meine Bedingungen, aber ich war sehr froh über diesen zweiten Platz. Ich wollte zeigen, dass mein Weltmeistertitel keine Eintagsfliege war."

Rettl hat Shea, dessen Großvater Jack 1932 in Lake Placid Doppelolympiasieger im Eisschnelllauf gewesen war und dessen Vater Jim 1964 in Innsbruck nordisch kombiniert hatte, den Triumph vergönnt. Seinen "besten Freund im Zirkus" nannte er den US-Amerikaner damals.

Noch heute sehen sich die beiden ab und zu. Das liegt daran, dass Rettl in seiner Freizeit als Trainer des US-Skeleton-Teams wirkt. In dieser Funktion braucht er auch jetzt sehr viel Urlaub vom Lotsendienst, um seine Schützlinge bei den Spielen in Vancouver zu betreuen. Medaillenanwärter sind darunter, und Rettl würde sich über jeden einschlägigen Erfolg freuen, "ich wäre extrem stolz". An die Freude über die eigenen Erfolge, die gleichsam materialisiert in einer Stellage in Rettls Wohnung in Zirl liegen, käme das aber nicht heran. "Runterbringen muss es ja immer der Athlet selbst." Bäuchlings und Kopf voran natürlich. (Sigi Lützow , DER STANDARD Printausgabe 29.01.2009)