Anhand der Berichterstattung österreichischer Medien über das Spiel zwischen Österreich und Kroatien bei der laufenden Handballeuropameisterschaft - Kleine Zeitung: "Die Handballwelt pfeift auf Österreich", Kurier: "Verpfiffen und verschaukelt", Die Krone (im wahrsten Sinne des Wortes): "Skandal! Österreich um Sensation betrogen", Heute: "23.26 Skandal! Österreich um Sieg betrogen", Der ORF-Teletext: "Handballer zwischen Wut und Stolz" - kann sehr gut die Entstehung einer typischen nationalen Dolchstoßlegende im Sport und darüber hinaus nachgezeichnet werden. Selbst die Berichte im Standard und in der Presse könnten als "Quelle" dazu herangezogen werden. Das genannte Handballspiel, in dem es für die österreichische Nationalmannschaft um "gar nichts" mehr ging, wurde von zwei renommierten schwedischen Schiedsrichtern geleitet, die diesmal allerdings in der Schlussphase des Spieles ziemlich "daneben pfiffen", ohne damit - wie von eben zitierten österreichischen Medien suggeriert - in die "Geschichte der Sportskandale" einzugehen. Solche Spiele bzw. Schiedsrichterleistungen gab es nämlich bei großen Handballturnieren, die der heimischen Sportöffentlichkeit weitgehend verborgen blieben, reihenweise. Die aufgeregte Stimmung, die von handballunerfahrenen Sportkommentatoren nach dem "Skandalspiel" in Wien geschürt wird, zeugt vor allem von der Abwesenheit derselben bei allen bisherigen Handball-Großereignissen.
Verschwörungstheorie
Gerade diese Unerfahrenheit der Sportberichterstatter und die bisherige Ignoranz österreichischer Medien gegenüber dem Handballsport bilden einen idealen Boden für die Entstehung von Dolchstoßlegenden. Ganz abgesehen von der Leistung der Schiedsrichter im konkreten Spiel, ist die Behauptung, dass "Österreich um [einen] Sieg betrogen" wurde, mehr als gewagt - gerade auf Grund der Erfahrung im Verlauf dieser EM und im Vorbereitungsturnier in Wiener Neustadt.
Das kroatische Nationalteam hat nämlich in den ersten vier EM-Spielen genug Erfahrung mit gegnerischen Aufholjagden gemacht und sich immer auch aus scheinbar aussichtslosen Situationen selbst gerettet. In Wiener Neustadt etwa ist es bei einem dem "Skandalmatch" durchaus ähnlichen Spielverlauf in der Schlussphase der österreichischen Mannschaft mit neun Toren davongezogen. Es spricht einiges dafür, dass sich - ohne "Eingreifen" der schwedischen Schiedsrichter - in einer relativ ruhigen Atmosphäre - dieses Szenario auch in Wien am 26. Jänner hätte wiederholen können. (Die Unruhe, die die Schiedsrichter und - nicht zuletzt - das Publikum ins Spiel gebracht haben, hat im Endeffekt eher der österreichischen als der kroatischen Mannschaft genutzt. Schließlich haben "die Österreicher" in der doppelten Unterzahl zwei Tore erzielt),
Vollkommen absurd ist die von einigen österreichischen Spielern in die Welt gesetzte und von "patriotischen" österreichischen Sportkommentatoren übernommene Verschwörungstheorie, wonach die schwedischen Schiedsrichter den aufstrebenden Neuling in der europäischen Handball-Elite, Österreich, "zu Fall bringen" und "die Handball-Weltmacht Kroatien" ins Semifinale "hieven" wollten (wahrscheinlich um mindestens einen der drei "verhassten" skandinavischen Nachbarn - Norwegen, Dänemark oder Island -, die direkte Konkurrenten Kroatiens sind, "auszuschalten"). Im Fall eines erneuten klaren Sieges Kroatiens über Österreich hätten dieselben Berichterstatter und Kommentatoren, die nun von Skandal und Verrat sprechen, in einigen wenigen Zeilen "das schlechte Spiel" oder die Unerfahrenheit der österreichischen Nationalmannschaft beklagt, und der Handball wäre aus den Schlagzeilen verschwunden.
So aber bleibt er noch eine Weile ein Thema der Austro-Sportberichterstattung, das sich eben noch dazu so prächtig für Dolchstoßlegende eignet. Dabei steht eine mögliche Blütezeit solcher Legenden erst noch bevor - wenn ORF, "Krone" und Co darüber berichten werden, wie viel Olympia-Medaillen uns die Schweizer, Amerikaner, Franzosen oder sogar die Kroaten gestohlen haben. (Alojz Ivanisevic*, DER STANDARD Printausgabe 29.01.2009)
Apropos Dolch
Kleiner Nachtrag zu einer "Handball-Sensation" aus der Sicht des "Hamburger (!) Abendblattes":
Man darf vermuten, dass Sorin-Laurentiu Dinu und Constantin Din in der Rangliste der beliebtesten Menschen in Österreich einen ziemlichen Sprung nach vorn gemacht haben. Am Donnerstagabend haben die beiden Handballschiedsrichter das EM-Spiel des Gastgebers gegen Island geleitet. Sie taten das 59 Minuten und 14 Sekunden lang recht unauffällig. Die Isländer führten zu diesem Zeitpunkt mit 37:34. Dann trug sich Seltsames zu. Österreich verkürzte, und Dinu/Din stoppten die Zeit ohne ersichtlichen Grund. Österreich gelang der Anschlusstreffer, wieder hielt die Spieluhr an. Und als Islands Olafur Stefansson auf dem Weg nach vorn dann plötzlich zurückgepfiffen wurde und der Balinger Bundesligaprofi Markus Wagesreiter vier Sekunden vor dem Ende den Ausgleich erzielte, versank die Linzer Tips-Arena in einem Freudentaumel. Österreich hatte neue Sporthelden - und der Handball seinen nächsten Schiedsrichterskandal.