Der Dorfplatz von Piozzo im Piemont: In diesem typisch italienischen Dorf steht die Wiege italienischer Bierkultur.

Foto: Georg Desrues

Wie unorthodox die Italiener sich dem Thema nähern, zeigt Marco Marengo (Mitte), dessen "Black Rebel" mit Schokolade und Minze eingebraut wird.

Foto: Georg Desrues

Teo Musso aus Piozzo gilt als Pionier der italienischen Brauszene. In Piemont braut er Biere in belgischesm Stil ein, die er unter anderem in seinem Restaurant Casa Baladin ausschenkt.

Foto: Georg Desrues

Zum vorzüglichen Essen wird - für Italien einzigartig - ausschließlich Bier gereicht.

Foto: Georg Desrues
Foto:

Dass eine davon "Birrificio Brunz" heißt, sagt nichts über deren Qualität aus – wie Georg Desrues überprüfen konnte.

Bei der Alpenüberquerung galt bis vor Kurzem die Regel: In Italien schmeckt alles besser – bis auf das Bier. Schales Gesöff, mehrheitlich von unsympathischen Großbrauereien erzeugt, ungepflegt und lieblos gezapft, in abstrusen Maßeinheiten serviert – Klarsichtspüler inklusive. Das war von jeher der Ruf des italienischen Biers. Vorbei! Denn bis auf die Maßeinheiten ist heute alles anders.

Seit einigen Jahren floriert im Land von Chianti, Collio und Barolo eine Brauereiszene, die weltweit ihresgleichen sucht. Der Trend erinnert stark an die Entwicklung in den USA, wo seit den frühen 1980er-Jahren zahlreiche Mikrobrauereien das Image des amerikanischen Biers als wässrige Brause radikal verändert haben. Fast 1500 solcher craft breweries gibt es heute in den Staaten – an die 300 birrifici artigianali sind es mittlerweile in Italien.

Die Zeiten, in denen man in Italien richtiggehend stolz darauf war, kein Bierland zu sein, scheinen damit endgültig vorbei. Tatsächlich galt Bier lange Zeit als "Barbarengetränk", das sich unmöglich mit den Prinzipien der – nationale Identität stiftenden und als kulturell überlegen betrachteten – Mittelmeerdiät vereinen könne. Doch völlig losgelöst von Tradition, Selbstverständlichkeit und Reinheitsgebot pflegen die Italiener einen von Wagemut, Kreativität und Spielsinn geprägten Braustil, der in österreichischen (oder gar deutschen) Mikrobrauereien wohl kaum denkbar wäre.

"Biermäßig war Italien lange Zeit von Deutschland kolonialisiert", sagt Teo Musso, Brauer im Bohemien-Look und Pionier der Bewegung, "heute orientiert man sich viel mehr an Belgien." Kein Wunder also, dass einige transalpine Biere für österreichische Dursttrinker eher gewöhnungsbedürftig daherkommen.

Dass der ganze Trend in Österreich bislang kaum wahrgenommen wurde, wundert Lorenzo Dabove – der unter dem Namen "Kuaska" so etwas wie Italiens Antwort auf unseren Bierpapst Conrad Seidl ist – nicht: "Ich staune immer wieder, dass deutschsprachige Kollegen oft erst jetzt entdecken, was in Amerika in den letzten Jahren los war."

"Als ich begann, Qualitätsbier zu brauen", sagt Musso, "fragte ich mich: Wer soll das eigentlich kaufen? Dann kam mir die Idee, dass ich, um Erfolg zu haben, mein Bier in die Welt des Weines bringen musste. Weintrinker sind sehr anspruchsvoll und haben ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein." Das war anscheinend nicht nur bildlich gemeint, denn Mussos Birreria "Baladin" befindet sich im piemontesischen Dorf Piozzo, haarscharf an den Weinbergen des Barolo-Gebiets.

Heute macht sich generell ein gesteigertes Interesse und Bewusstsein im Land bemerkbar. Kaum eine Bar, die nicht neben einem – leider nach wie vor meistens schal schmeckenden – Fassbier und den in Italien allgegenwärtigen Flaschenbieren Beck's und Ceres (einem dänischen Starkbier) nicht auch zumindest zwei oder drei birre artigianale anbietet.

Berührungsängste mit für uns exotisch anmutenden Ingredienzien kennen die Italiener dabei kaum. Gebraut wird mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Brauerei "Cita Biunda" (Piemontesisch für: "Kleines Blondes") etwa erzeugt im Barbaresco-Dorf Neive ein Bier namens "Black Rebel", das mit Schokolade und lokaler Minze gebraut wird, sonst aber an irisches Stout erinnert. Umso erstaunlicher, dass der junge Braumeister Marco Marengo lieber auf wenig gehopfte Biere setzt, da es zu leicht sei, "den wahren Geschmack des Bieres hinter zu viel Hopfen zu verstecken". Der Piemontese sieht es gar nicht gern, dass "in Italien der Trend zu bitteren, amerikanischen Hopfensorten überhand nimmt".

Hopfen ist auch deswegen ein Thema, weil Italien keinen produziert. "Das wird sich ändern", sagt der resolute Teo Musso, "wir haben mehrere Sorten angebaut und werden nächstes Jahr erstmalig ernten." Zu experimentellen Zwecken, denn Ziel sei es, so Musso, eine Sorte "mit italienischem Charakter zu entwickeln".

Die wahrscheinlich erstaunlichste unter den italienischen Brauereien – betrieben von der sozialen Kooperative "Pausa Cafè" – erzeugt ihr Bier in der Strafanstalt von Saluzzo. Eine Handvoll ausgewählter Sträflinge braut in der Nähe von Turin, unter der Leitung von Braumeister Andrea Bertola, sechs Sorten Bier. Darunter ein obergäriges Bier im bayerischen Stil mit so exotischen Ingredienzien wie Tapioca, Quinoa, Amaranth und Basmatireis (alles Fairtrade!) mit starken Zitrus- und nur zarten Getreidenoten.

Es gibt aber auch ein feingehopftes Pils (genannt P.I.L.S.), das endlich auch den deutschsprachigen Besucher durch ausgewogene Süffigkeit besticht. "Wir wollten ein Bier machen, das möglichst nahe an jenes herankommt, das erstmalig Mitte der 1840er-Jahre in Pilsen gebraut wurde", sagt Bertola, der sein Bier zu diesem Zwecke zehn Wochen im Eichenfass lagert.

Der erhebliche Aufwand, den die Italiener um ihr Bier betreiben, hat natürlich seinen Preis. Dass der italienische Bier-Fan bereit ist, für 0,25 Liter Fassbier satte vier bis fünf Euro und für eine 0,75 Liter Flasche deutlich über zehn Euro auszugeben, hängt natürlich damit zusammen, dass Italiener gerade beim Bier weit weniger kübeln als Österreicher, dass Humpen hebende Studenten- oder Burschenschaften hier so gut wie inexistent sind und dass, außerhalb der Pizzerien – wo 0,4 Liter Bier meist ebenfalls über vier Euro kosten – zum Essen nach wie vor der verhältnismäßig günstigere Wein getrunken wird.

"Auch das wollen wir ändern", sagt dazu Musso, der kürzlich in Rom ein Lokal namens "Open" eröffnet hat, in dem über 100 artisanale Biere in der Flasche und 40 (!) vom Fass ausgeschenkt werden. Und der in seiner "Casa Baladin" ein Restaurant gehobenen Stiles betreibt, in dem es überhaupt keinen Wein gibt – was in Italien wohl einzigartig ist.

Der Gefahr, dass sich das Ganze als Mode-Effekt entpuppt, wie im "bel Paese" erfahrungsgemäß denkbar, sind sich sowohl Musso als auch Dabove bewusst. Letzterer fügt aber in für ihn typisch italienischem Pathos an: "Ich vertraue voll und ganz darauf, dass unsere tapfersten Handwerker die italienische Braukunst in immer höhere Sphären bringen werden und dass der neue, anspruchsvolle Biertrinker das auch in Zukunft belohnen wird."

Leider sind nicht nur Preis und Bestandteile geeignet, den österreichischen Biertrinker abzuschrecken – auch Namen können manchmal schockieren, wie das toskanische "Birrificio Brunz" nur allzu gut verdeutlicht. Wer sich den Mut und die Lust davon nicht verderben lässt und sich einen Überblick über die brodelnde italienische Bierszene verschaffen will, den lädt Dabove von 6. bis 10. Februar nach Padua ein – zum Bier-Festival mit dem gleichermaßen bedrohlichen wie beruhigenden Titel "Birra Nostra". (Der Standard/rondo/29/01/2010)