Velojet: "Heavy Gold And The Great Return Of The Stereo Chorus"

Unfair ist's, wenn vier Komödien in der Kategorie Bester Film antreten und es dann doch wieder das einzige Drama ist, das den Oscar abräumt. Ähnlich sieht's in der Musik aus, wenn eine Band weitgehend ihr Tempo hält und dann ausgerechnet für eine Ballade Beifall kassiert. Aber was soll's: "The Money We Get Is The Price We Pay" ist nun mal ein klasse Song. Und ein bisschen illustriert er auch die Entwicklung zwischen dem zweiten und dem jetzigen dritten Album des Wahlwiener Quartetts.

Keyboarderin Irene Grabherr ist nicht mehr dabei. Durch eine Nach- bzw. Nachnachbesetzung (Katharina Auinger respektive Lisi Neuhold) blieb die Geschlechterparität erhalten, die schon Gitarrenbands wie Lush oder My Bloody Valentine zwecks Pop-Appeal gut zu Gesicht stand. Angeschlagen werden die Tasten nun aber eher im Klavier-Stil oder es wird überhaupt gleich ein Flügel benutzt. Kombiniert mit Chören, Bläsern und Streichern schiebt das den Band-Sound stärker in Richtung Pop klassischer Prägung. "The Money ..." weckt jedenfalls wieder einmal Beatles-Assoziationen - und insgesamt hätte sich "Heavy Gold" in jedem Abschnitt der Musikgeschichte, in dem Wert auf sorgfältigen Songaufbau gelegt wurde, gut gemacht. Erst recht wenn Velojet-typisch von Fuß- auf Handballtempo hochgeschaltet wird: siehe "Don't Lose Your Head" oder "Teenage Lies". (Wohnzimmer/Hoanzl)

Link
Velojet

Coverfoto: Wohnzimmer

Neoangin: "Say Hi To Your Neighbourhood"

Hätte Jim Avignon vor ein paar Jahren beschlossen, statt in Berlin und New York einen Hauptwohnsitz in London einzurichten, könnte er heute vielleicht am aktuellen Hype um "Wonky Pop" mitnaschen. Und das, ohne ein Fitzelchen an dem DIY-Sound ändern zu müssen, für den man Neoangin seit mittlerweile über einem Jahrzehnt und unzähligen Platten kennt und einfach mögen muss.

Wir wählen Heimorgelisten-mäßig einen Grundrhythmus am Keyboard, spielen eine schlichte Melodie drüber und laden Gäste wie Jens Friebe ein, die das Ganze abwechselnd mit Gitarre, Schlagzeug oder Balalaika ergänzen. Melancholische Gedanken prägen die Texte und knüpfen damit das an der Oberfläche so unbeschwert wirkende Geklimper direkt ans Leben eines hopeless bohemian an. Anspieltipps unter anderem: "La Boum", "Underdog", "Time Don't Move" (für Neoangin-Dimensionen große Oper!) und "Smalltalkworld", ein supersüßes Duett zwischen smalltalk boy Jim und smalltalk girl Kim.

Zu beziehen ist das im Eigenvertrieb erschienene Album wieder über die Neoangin-Website.

Link
Neoangin

Coverfoto: Jim Avignon

Shakespears Sister: "Songs from the Red Room"

Die hatte wohl niemand mehr im Kalender. Die wie Singular, denn Siobhan Fahey ist - wie in der Ursprungsphase von Shakespears Sister - längst wieder solo unterwegs, inzwischen auch wieder mit neuer Platte. Die Arbeits- und Imageteilung aus der Hochphase des einstigen Hit-Duos ("Stay", "Hello, Turn Your Radio On") hat sich nach dem Abgang von Marcella Detroit natürlich erledigt: Die Herzensgute mit der lyrischen Stimme ist weg. Übrig geblieben ist die große böse Grinsekatze, die den Rahm gefressen hat. Mitsamt dem Milchbauern.

Knapp zwei Jahrzehnte nach der Erfolgsphase ist Siobhans Stimme noch ein Alzerl dreckiger geworden. Die geht beim überraschenden Rock-Getwänge von "Pulsatron" noch ein wenig unter, mit dem "Songs from the Red Room" etwas irreführend eröffnet wird. Die Gitarren kehren zwischendurch zwar immer wieder mal zurück, den Ton geben aber Stücke wie "Bad Blood", "Hot Room" oder "A Man In Uniform" vor: Sleazy Synthie-Disco im Stil der 80er, zu der sich Siobhan kongenial rollig wie grollend dahinräkelt. Von der Ex-Band Bananarama ist das noch weiter entfernt als Robbie Williams selbst in seinen schmutzigsten Momenten von Take That. Trash-Faktor unleugbar, aber saucool. (Parlare Records/Cargo)

Link
Shakespears Sister

Coverfoto: Parlare Records

Fehlfarben: "Glücksmaschinen"

Irgendwann in den letzten 15 Jahren ist die Generationenfolge im Pop endgültig einem großen Nebeneinander gewichen. Ökologische (bzw. ökonomische) Nischen wurden neu besetzt, ohne dass sie von den Vorgängern überhaupt geräumt worden wären. Wenn heute innerhalb eines Dreivierteljahres Alben vom Bierbeben und von Fehlfarben erscheinen, dann ist das irgendwie so, als sähe man eine Giraffe und einen Diplodocus vom selben Baum äsen. Aber noch ist Platz genug.

Wir haben Angst - aber leider keine Zeit dafür: In "Neues Leben" auf dem kommenden Fehlfarben-Album treffen sich beide Konzepte der Deutschpunk-Wiederbearbeitung auch soundmäßig - ansonsten gleicht man einander zumindest im Grundton von Pessimismus und ätzender Kritik aus dem Abseits. Von Bierbebens Julia Wilton distanziert geflötet und nur von einem Instrumental-Skelett begleitet. Von Fehlfarbens Peter Hein mit dem Pathos eines Filmschurken vorgetragen und satt untermalt: produziert hat wie auch für Tocotronic Moses Schneider.

Optimieren, sanieren, endlich wieder fremdriskieren: Inhalte auf zündende Slogans einzudampfen funktioniert heute wie vor 30 Jahren. Und wenn man jemandem mal gar nichts mehr zu sagen hat (wie im Schlussstück "Respekt?" mit seinem genialen Ende), dann ist das erst recht ein Statement. "Glücksmaschinen" erscheint am 12. Februar. (Tapete Records/Hoanzl)

Link
Fehlfarben

Coverfoto: Tapete

The Magnetic Fields: "Realism"

Musikalische Moden sind was Seltsames: 1999/2000 musste einfach jeder die "69 Love Songs" haben, danach krähte wieder kein Hahn mehr nach den Magnetic Fields. Als wären Stephin Merritts schaurig-schöne Balladen danach - ebenso wie die davor - auch nur einen Deut anders oder gar schlechter gewesen.

Der Album-Opener "You Must Be Out Of Your Mind" gibt mit Banjo und einem extraseriös klingenden Cello die Linie vor: Demonstrativ wird der Verzerrer-Vorhang, der als Soundkonzept über dem Vorgänger-Abum "Distortion" lag, weggezogen. Nun also wieder klare, kammermusikalische Klänge (ein Märchen geradezu: "I Don't Know What To Say"): Der Löffel Honig, der einen auch bittere Dramen wie das von der armen sitzengelassenen Braut schlucken lässt: I walked down the aisle / Then waited awhile / No one came ... / Yes, I think I might drink a few / And maybe the baby will too. Zur Hälfte tragisch, zur knappen Hälfte tröstlich - es bleibt ein in marsianischem Deutsch gesungener mysteriöser Rest: Alles ist ein großer Tannenbaum / Rotierend im Weltraumgeschichte. Öhm? (Warner)

Link
Stephin Merritts House of Tomorrow

Coverfoto: Nonesuch/Warner