"Frau mit Kind" aus 1747: ... er gibt den Auftrag, vorerst die Reni und das dreijährige Kind zu malen. Er will dann befinden, ob des Künstlers Künste auch für seine eigene Visage ausreichen.

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Die Reni ist ja nicht nur ihres Alters wegen eine Sitzengebliebene.

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Ob es wahr ist, was man sich erzählt, dass der Trogener Kaufmannsgehilfe Schlatter Jakob um des Tanners Tochter angehalten hat, weil er meint, wenn die Ringe einmal getauscht sind, werde ihm die Fortüne hurtig in den Geldbeutel fahren? Da hätte er sich aber geschnitten, denn der alte Tanner, der Tücher im Verlag weben lässt und sie mit gutem Gewinn auf der Leinwandschau verkauft, wird so lange auf seinen Truhen hocken, bis ihm das Lichtlein ausgeht: nicht, weil er geizig ist, sondern weil man erstens auch an sich selber denken muss. Wer heut seine Stiefel verschenkt, darf nicht jammern, wenn er morgen barfüßig im Pflotsch steht, so heißt es doch und auch, dass im sauren Schweiß das Glück der Jugend liegt und nicht etwa in der Aussteuer. Helfen wird er dem Schlatter aber schon; man muss dem Herrgott danken, dass man eine wie die Reni unter die Haube bringt. Die Reni ist ja nicht nur ihres Alters wegen eine Sitzengebliebene, das Tanzen fällt ihr so schwer wie das Gehen, weil sie nämlich einen Klumpfuß hat. Deshalb hat der Tanner, als der Schlatter bei ihm vorstellig wird, vor Überraschung fast sein Pfeiflein verschluckt. Nein, damit hat er nicht gerechnet.

Die Reni auch nicht. Vor Zeiten gab's einmal ein Jägerlein, das ein paar Jährchen auf der Lauer lag. Der hieß Karl und war ihr Cousin. Leider ein Hasenherz. Anfangs tauchte er oft aus heiterem Himmel auf, lächelte aber bloß und stand da wie die Butter in der Sonne. Später führte er sie ein paar Mal zum Wein. Wenn der ihm zu Kopf stieg, gab's zum Abschied auch ein Schmätzchen. Doch insgesamt war wenig Karessieren, und auf Heiratsmaterien kam man gar nie zu sprechen. Als er dann zu einem Fabrikanten nach Gais ging, wechselte man noch ein paar Brieflein und verlor sich. Reni dachte aber noch immer gerne an ihn, denn seither hatte es keiner verstanden, ihr schönere Honigwörtchen ins Ohr zu blasen.

Lange ledig geblieben, hat Reni wenig Grund gehabt, über Einsamkeit zu klagen, denn es ist ausgerechnet ihr böser Fuß, der den Männern das Bein stellt. So eine wie sie ist noch zu haben, wenn der Tanz vorbei ist, denkt sich mancher, und auch der Schüchternste findet noch den Mut, sie anzusprechen: weil eine wie die wird mich doch nicht abweisen! Reni denkt sich das ihre dabei, die Komplimente lässt sie sich aber gefallen. Die Leute sollen sich nur das Maul zerreißen. Darob ist der Tanner nicht glücklich. Was soll er machen. Er kann das Kind, das ja kein Kind mehr ist, nicht zu Hause einsperren. Jetzt wird Ruhe einkehren, denkt er sich. Freut es dich denn gar nicht, dass du heiraten tust? Was soll die Reni sagen? Es hilft ja nichts. Und dass der Schlatter keine Augenweide ist - die Blattern haben in seinem Gesicht eine ordentliche Verwüstung hinterlassen - das ist dem Vater so Blunzen wie der Regen nach der Bleiche. Eine wie du, Herrgott, was glaubst denn eigentlich! In drei Wochen soll Hochzeit sein.

Diese Zeit möchte der Schlatter nicht ungenützt verstreichen lassen, er verlangt von Renis Vater, dass er sich bittschön für ihn verwende, wo er doch mit seinen Patrons, den Zellwegern, über zwei Ecken verschwägert sei.

Schlatter hat nämlich Pläne, er möchte für die Firma nach Lyon, wo er sich bezahlterweise in Position bringen will, um später sein eigenes Handelszeichen ins Markenbuch eintragen zu lassen. Dass er ins Ausland will, treibt der Reni keine Tränen in die Augen, sie hat inzwischen nämlich herausgefunden, dass der Schlatter das Wesen eines Sennenhunds hat: immer das Maul offen, immer auf der Lauer nach einer Okkasion, sich wichtig zu machen. Mag sein, dass er noch andere Meriten hat, in jedem Fall ist er gottesfürchtig, und tarockieren kann er sowieso wie der Teufel. Womit nun allerdings keiner gerechnet hat: Tanners Fürsprache zeigt so rasche Wirkung, dass die Hochzeit verschoben werden muss, weil Schlatter angewiesen wird, binnen vierzehn Tagen eine erste Reise nach Lyon zu unternehmen.

Er will die Reni sehen

Ist es ein hundsgemeiner Zufall oder eine ausgemachte Perfidie des Schicksals, dass just zu dieser Zeit der Karl sich wieder zeigt? Er will die Reni sehen, lässt er sie wissen. Die Reni, ganz aus dem Häuschen, denkt sich, Gottlob weiß jeder, dass ich einem andern versprochen bin, so kann ich mich ungeniert mit ihm treffen. Die beiden haben eine solche Freude aneinander, dass dem Schlatter, kaum ist er aus Lyon zurück, von allen Seiten zugetragen wird, die Reni verstehe sich mit ihrem Cousin auf eine Art und Weise, die den Leuten Anlass geben könnte, Gerüchte in die Welt zu setzen.

Der Schlatter will sich seine Braut nicht madig machen lassen, haut der Reni für alle Fälle aber doch eine runter, überhäuft sie mit säuischen Worten und versichert ihr, dass sie froh sein kann, dass er ausgerechnet eine wie sie zur Frau nimmt. Dem Karl droht er mit dem Rinderriemen, wenn er sich noch einmal zeige. Aber weil er doch selbst bald wieder verreisen muss, dünkt dem Schlatter, das Beste wäre, man schafft den Schlingel außer Landes. Zu der Zeit schickte Friedrich II. gerade seine Armee nach Schlesien hinein und brauchte Soldaten. Schlatter weiß von einem preußischen Werboffizier, der in der Gegend Beute zu machen versucht: Der würde für den Karl gewiss zwölf Louis d'or zahlen!

Der alte Tanner ist von Schlatters Schneid beeindruckt, hält zum Glück aber eine elegantere Lösung parat. Mithilfe seines Schwagers verschafft er Karl eine Anstellung bei einem befreundeten Handelshaus in Livorno. Zum Karl sagt er: Bei den Welschen gibt's Geld zu verdienen wie Dreck. Wenn das Jahr um ist, kommst wieder, dich zeigen mit einem goldbordierten Hut. Karl sagt zu. Das Abenteuer lockt ihn, und wenn er dabei einen Batzen machen kann, soll's ihm recht sein. Als er sich heimlich mit der Reni trifft, um Adieu zu sagen, fällt ihm nicht ein, wie er's ihr beibringen soll, und so bedeckt sie ihn mit heißen Küssen und vergießt so lange Tränen, bis er aus den Hosen schwitzt. Von Livorno aus schreibt er ihr einen Brief, der ist so lang wie ein Nestelwurm und voll der Erklärungen, wie oft er jetzt an seinen Bruder denke, der als Kind so elend umgekommen ist, als er in einen siedenden Salpeterkessel fiel, dass man dankbar sein müsse für das, was das Leben einem bereithalte, und andere gescheite Sachen, die aber wenig Linderung bringen, weil Reni den Brief zerreißt, ohne ihn zu lesen.

Dass sie ihren Karl wiedergefunden und gleich wieder verloren hat, bricht ihr das Herz. Es geht ihr so elend, dass der Doktor ihr einen doppelten Aderlass verordnet, was nicht weiter erstaunen darf, denn dies geschieht zu einer Zeit, da man das Schmauchen von Tabak als Mittel gegen Zahnweh empfiehlt. Trotzdem erholt sie sich. Es dauert ein paar Monate, aber nach und nach kommt sie wieder auf die Beine. Da fällt ihr Vater plötzlich in eine Krankheit und stirbt nach wenigen Wochen.

Reni hat sich verändert. Sie ist still geworden, sanft ihr Blick und ihre Stimme dünn. Der Schlatter meint, der Tod des Vaters und die eigene Krankheit hätten ihr etwas Demut beigebracht, und er freut sich, dass sie jetzt nicht mehr so bockig ist. Er schlägt vor, sie soll mit nach Lyon. Das will sie justament nicht. Warum? Ihre Antwort lässt er gelten: Denn bald darauf gebiert sie ihm ein Kind. Dem Schlatter schwellt die Brust: Schau, schau, was haben wir da für ein bluthübsches Kindlein! Schade nur, findet er, dass der Sohn ein Mädchen ist.

Das wird schon noch. Hauptsache, in Lyon geht's weiter flott voran. Potz Donner, das nennt man Karriere! Als Jüngling hat er sein Brot noch mit Baumwollkämmen und mit Spinnen verdient, dann ist er Leinwandmesser, wird Kaufmannsgehilfe, und nun, nach nicht einmal drei Jahren, hat er's hier schon zum obersten Stellvertreter gebracht. Und weil er jetzt fast sein eigener Patron ist, nennt er sich nun Jacques statt Jakob. Es ist Zeit, dass seine Wichtigkeit den passenden Ausdruck findet. Für ein Palais reicht die Monnaie zwar noch nicht, aber was ist mit einem Porträt, denkt er sich, als ihm zu Ohren kommt, es weile gerade ein Künstler in Trogen, um das Bildnis des Doktor Laurenz zu fertigen. Der kann, scheint's, was, im Vorjahr hat er bereits dessen Bruder Johannes als Landamann porträtiert. Schlatter gibt den Auftrag, vorerst die Reni und das dreijährige Kind zu malen. Er will dann befinden, ob des Künstlers Künste auch für seine eigene Visage ausreichen. Der Maler lehnt zuerst ab, weil Schlatter, ganz in seinem Element, den Preis ins Bodenlose drückt. Am Ende siegt der Dünkel über den Geiz, und man einigt sich doch. Dem Meister hat das Handeln aber die Lust genommen, und er übergibt, nachdem er die Komposition angelegt und Gesicht von Mutter und Kind gemalt hat, das Bild seinem Assistenten, der sich zuvörderst mit Gewand und Spitzen quälen muss. Als Schlatter das Bild präsentiert wird, kommt es zum Eklat. Der Maler, in einem Brief an seinen Bruder nach Thun: ‚Dass mir das nicht wieder passiere, dass mir einer seine Frau schicket zum Portrait und es dann nicht haben will. Dies obwohl ich ordentlich Fleiß auf es verwendet und wie mir scheint, sie gut getroffen hab. Sie ist halt keine junge Braut, dafür kann ich aber nichts. Wenn sie dem Herrn nicht gefällt, soll er mir eine Schönere schicken.‘

Was ist passiert? Als Schlatter das Bild zu sehen bekommt, scheint ihm, er betrachte seine Tochter zum ersten Mal mit Aufmerksamkeit. So schaut sie also aus, denkt er noch, da durchläuft es ihn heiß und kalt, die Knie geben nach, und das Hirn macht einen Hupf: Potz Hagel! Was ihm aus diesem rotwangigen Gesichtlein entgegenleuchtet, das sind die Züge seines Nebenbuhlers Karl!

Ob er sie noch will?

Schlatter spediert sich unverzüglich nach Lyon zurück. Nein, er hat kein Glück mit den Frauen. Weil er aber auch weiß, dass mit Fluchen und Lamentieren keine Butter aufs Brot kommt, verfolgt er nun mit noch größerer Kühnheit, um nicht zu sagen, mit dem Wahnwitz eines Hasardeurs, den Plan, mit einer eigenen Handelsgesellschaft zu reüssieren. Da er keinen Kompagnon findet, borgt er sich das nötige Kapital. Er nimmt Sitz an bester Adresse und hält sich Angestellte, die er nicht bezahlen kann. Bald muss er weitere Kredite aufnehmen, um die Zinsen zu begleichen. Das geht ein paar Jahre gut, weil er recht geschickt von einem Sack in den anderen wirtschaftet. Doch als der britisch-französische Krieg um die amerikanischen Kolonien ausbricht, ist in Frankreich kaum mehr Handel zu treiben, und mit einem Mal steht Schlatter das Wasser bis zum Halszäpflein. Man darf es nicht Glück nennen, weil die Umstände tragisch sind, aber dem gefürchteten Bankrott kommt Schlatter zuvor: Er stirbt mit einem satinierten Fazenetli in der Hand, als ihm am 18. Februar 1756 in der Rue Buisson ein Schornstein auf den Kopf fällt. Ein fernes Echo des großen Erdbebens?

Karl hat es inzwischen von Livorno ins südspanische Cádiz verschlagen, wo er für ein Handelshaus arbeitet, das auch mit Trogener Kaufleuten in Geschäftsbeziehung steht. Das weiß die Reni, denn die beiden wechseln seit einiger Zeit wieder Brieflein. Als Reni nun von Schlatters Tod erfährt, schreibt sie dem Karl unverzüglich nach Cádiz, ob er sie noch will? Sie sei zwar nicht mehr jung, hätte aber noch ein Maul voll hübscher Zähne. Ja, schreibt Karl, komm lieber heut als morgen! Denn er kommt hier leider nicht weg. Er hat es sich in Cádiz recht gut gerichtet, gespart hat er aber nichts. Deshalb macht er sich daran, ihre Reise zu planen. Es trifft sich gut, meint er, dass gerade zwei Ballen Tuch, die wegen der Krise in Italien nicht loszuschlagen sind, von Genua nach Cádiz geschippt werden müssen. Reni soll sich ohne die Verlierung einiger Minuten auf den Weg nach Genua machen und von dort mit der Ladung nach Cádiz segeln.

Ob er wirklich geglaubt hat, dass sie diese lange und gefährliche Reise auf sich nimmt? Gar mit dem Kind? Das Meitli ist gerade zwölf. Zwölf Jahre: So lange haben sich Reni und Karl nicht gesehen. Das Schiff bringt nicht die ersehnte Fracht, die zwei besagten Ballen aber werfen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale. Nachdem sie nämlich auch in Cádiz keinen Abnehmer finden und Karl die Order bekommt, mit der Duc d'Aquitaine Kontakt aufzunehmen - einem französischen Schiff mit Kurs auf die Antilleninsel Saint-Dominique, wohin die Ware zum kommissionsweisen Verkauf verschifft werden soll -, packt er die Gelegenheit beim Schopf.

So närrisch dünkt ihm das Unternehmen, da will er auch nicht faul sein und ein wenig mitspekulieren. Er verkauft die Ware im Geheimen an einen befreundeten Kaufmann in Sevilla; trotz des niedrigen Preises kommt eine hübsche Summe zusammen. Karl muss nicht lange warten, schon nach wenigen Tagen trifft die Nachricht ein, die "Duc d'Aqui-taine" sei von den Engländern gekapert und Kapitän Isnard gefangengenommen worden. Er füllt seine Taschen mit Pistazien und Oliven und macht sich mit einem Schlauch Wein und dem prallen Geldbeutel auf die Reise.

Es ist Ende April, in Trogen liegt der Schnee noch ein paar Klafter tief, und der Frühling scheint noch fern, doch für Karl und Reni, die sich endlich in die Arme fallen, hängt der Himmel voller Geigen und Hackbretteln. (Bruno Pellandini, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.01.2010)