Während auf der ganzen Welt der 150. Jahrestag der Publikation der Darwin'schen Evolutionstheorie gefeiert wurde, kehrte die Nicaraguanerin Gioconda Belli in ihrem neuen Roman zum biblischen Mythos von Adam und Eva zurück. Man kann sich natürlich fragen, was in Zeiten, in denen sich die Menschen die Antworten auf ihre dringendsten Fragen von den Wissenschaften erwarten, dafür spricht, die etwas angestaubte Erzählung aus der Genesis neu zu erzählen.
Laut Belli sehr viel, denn angesichts der globalen ökologischen und ökonomischen Krise täten wir gut daran, die alten Mythen zu hinterfragen, machen uns doch die Geschichten, die wir uns von uns erzählen, zu dem, was wir sind. Was sie an der biblischen Erzählung besonders stört, sind der sexistische Blickwinkel und die Deutung der Menschwerdung als Schuld. Darum tritt uns in ihrem von apokryphen Schriften inspirierten Roman das erste Menschenpaar in einem Zustand entgegen, in dem beide Geschlechter noch auf Augenhöhe miteinander leben.
Wir lernen eine selbstbewusste, mit beinahe faustischem Elan nach Erkenntnis strebende Eva und einen sich etwas ängstlich an Gottes Geboten orientierenden Adam kennen. Gott selbst tritt wohlweislich nie auf, dafür aber spielt die Schlange als spitzzüngige Gesprächspartnerin Evas eine bedeutende Rolle. Im Dialog mit ihr wird Eva klar, dass es in ihrer Hand liegt, die Menschheitsgeschichte zu ermöglichen, indem sie ihrem Wissenshunger nachgibt, worauf auch der auf einem Zitat von Blake beruhende Buchtitel anspielt.
Mit Ausnahme der mythischen Figur der Schlange hat Belli alle anderen überirdischen Elemente auf überzeugende Weise modern interpretiert, so wird etwa die Vertreibung aus dem Paradies zu einem Erdbeben, das einen unüberbrückbaren Graben zwischen dem Paradies und dem Rest der Welt aufreißt.
Wenn man dann erfährt, wie mühsam sich Adam und Eva erst in ihrem neuen Dasein einrichten mussten und dass Abel den Kain wegen der schönen Schwester Luluwa erschlug, bemerkt man, dass man über die alte Geschichte bis jetzt viel zu wenig gewusst hat.
Belli schreibt mit ihrer überzeugenden und humorvollen Neuinterpretation der Genesis die Linie moderner Autorinnen fort, die die überkommenen Mythen von patriarchalischen Schlacken befreien und ihnen eine zeitgemäße Form geben. (Udo Kawasser, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.01.2010)