Führungskräfte bewegen sich empathisch auf schmalem Grat

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Das Institut für Organisation und Personal der Universität Bern hat den aktuellen Stand und die Erfolgskriterien des Ideen- und Verbesserungsmanagements untersucht. Als wichtigste Einflussgrö-ßen auf das engagierte Mitdenken der Belegschaft erwiesen sich die Akzeptanz des Managements, Führungsstil und Betriebsklima sowie die bestehende Unternehmenskultur. Zugespitzt heißt das für Institutsdirektor Norbert Thom: „Ausschlaggebend für die Lebendigkeit, die Innovationskraft und die Erneuerungsfähigkeit einer Organisation aus sich heraus sind die Führenden." 

Was den Leadershipexperten Hans H. Hinterhuber, Chairman von Hinterhuber & Partners, Innsbruck, zu dem Rat an die Vorgesetzten veranlasst: „Nehmen sie ihre Leute für sich ein und sie setzen sich für sie ein!" Und dazu können für ihn auch „ein paar charismatische Züge nicht schaden." Worauf Hinterhuber anspielt, ist die Ausstrahlung eines Vorgesetzten, die von einer Führungskraft ausgehende Anziehungskraft, die elektrisiert und mitreißt. Vorgesetzte mit diesem „gewissen Etwas" wecken Begeisterung für die gemeinsame Aufgabe, entfesseln schlafende Energien, spornen zu überdurchschnittlichem persönlichen Engagement an. 

Sachverhalt: Emotionen

Den Erfahrungen des Geschäftsführers der Unternehmensberatung Coverdale Deutschland, München, Thomas Weegen zufolge, „sorgen sie über den so entstehenden Korpsgeist für die unbe-dingte Bereitschaft, sich einzusetzen." Führungskräften mit dieser für sie einnehmenden Ausstrahlung gelinge es, aus Verbundenheit und Zuneigung ein Arbeitsklima zu schaffen und zu erhalten, „das beflügelt und die in jeder Organisation stets auf der Lauer liegende Kleingeisterei und Missgunst im Zaum hält." Und was „diese Sorte Führungskräfte" für Weegen vielleicht am auffälligsten von ihren rezeptverhafteten und entsprechend unpersönlich agierenden Kolleginnen und Kollegen unterscheidet: sie bestätigen ihre Leute, vermitteln ihnen ein persönliches Wertgefühl, das sie trägt, ihnen Grund unter den Füßen gibt und ihnen das so wichtige Dazugehörigkeitsgefühl vermittelt. Für Weegen „das heute vielleicht am meisten fehlende und vermisste Verhaltenselement in den Betrieben." 

Aus dieser Konstellation heraus erreichen anziehende Vorgesetzte im synergetischen Miteinander mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine unvergleichliche Wirkkraft: sie vermitteln eine Vision, orientieren auf ein Ziel hin und inspirieren, sich auf neue Wege zu wagen, neue Möglichkeiten zu erschließen und auszuprobieren.
Soll das Geheimnis ihrer Wirkung in einem Wort zusammengefasst werden, trifft wohl nur eins den Sachverhalt: Emotionen. Anziehende Führungskräfte verbannen die Gefühlsebene nicht aus ihren Handlungen. Überbetonen sie aber auch nicht. Zu ihrem Handwerkszeug gehören ganz einfach und ganz selbstverständlich Einfühlungsvermögen und situatives Gespür. Und Menschlichkeit. So müssen sich ihre „Untergebenen" nie als solche empfinden. Und so sorgen sie ohne den ganzen aufgeblasenen und verlogenen Leistungsanreiz- und Motivationsschnickschnack für ein beachtliches Engagement. Nur ausgemachte Narren können doch beispielsweise auf den Einfall kommen, dass eine vom vorher festen Gehalt abgezogene und zum leistungsbezogenen Gehaltsanteil mit Auszahlungsvorbehalt erklärte Geldsumme irgendjemanden anspornt. Daumenschrauben machen vielleicht gefügig, aber doch nicht leistungsstärker, geschweige denn zu sprudelnden Ideenquellen. 

Charisma und Narzissmus

Diese beachtliche Wirkmacht anziehender Führungskräfte legt den Kardinalirrtum der Betriebswirtschaftslehre offen: die nach wie vor beherrschende Überzeugung, die Unternehmensführung sei ein durch und durch zweckrationales Unterfangen. Gefühle hätten dabei nichts, gar nichts verloren hätten. Die definitive Rechenbarkeit sei der Maßstab aller Dinge; das Controlling das Herzstück des Geschehens. „Der Homo oeconomicus bekommt Konkurrenz", nennt denn auch der Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Johannes Siegrist, seine kleine Schrift, in der er sich für die „die Wiederentdeckung der Emotion in der Wirt-schaft" stark macht. 69 lesenswerte Seiten!

Freilich, nicht verschwiegen werden darf, auch dieses wirkmächtige Charisma hat seine Schattenseite. Der Übergang von der charismatischen Führungs-persönlichkeit zum Sonnenkönig in der Chefposition, zur ausschließlich auf sich selbst bezogenen narzisstischen Führungskraft ist fließend. Narziss, in der griechischen Mythologie der schöne Sohn des Flussgottes Kephisos, der sich in unerfüllter Liebe zu seinem Spiegelbild, das er im Wasser erblickte, verzehrte und als Strafe für seine Selbstliebe in eine Narzisse verwandelt wurde, lieh diesem hochheiklen Typ Vorgesetzten seinen Namen.
Sie sind eine Geißel für ihre Leute. Und, so die Ansicht erfahrener Betriebsärzte, ganz wesentlich mit verantwortlich für das ausufernde Burnoutgeschehen. „Was ihnen fehlt ist die Fähigkeit zur Empathie und damit die Chance sich in die Gefühlswelt ihrer Mitarbeiter und damit in die Wirkungsdimension ihres eigenen Verhaltens einzufühlen. Ihr Handeln und Umgang mit Mitarbeitern ist daher von einer teflonartigen Art des Sich-nicht-beeindrucken-Lassens. Sie sind weder in der Lage noch willens Atmosphäre oder Stimmungen ihrer Mitarbeiter aufzunehmen, noch willens oder fähig darauf einzugehen", charakterisiert Betriebsarzt Rolf Breitstadt, Bad Sooden, diese Führungskräfte.

Allerdings, so Breitstadt, eines dürfe nicht ungesagt bleiben: Auch bei besten Absichten sei heutzutage eine Führungskraft kaum noch in der Lage glaubhaft zu führen und vor ihrer Mannschaft zu bestehen, wenn durch permanente Reorganisationen, Kostensenkungsprogramme und Ähnlichem mehr Zielprojektio-nen eine immer kürzere Halbwertzeit hätten. Die Glaubwürdigkeit und damit das Standing von Vorgesetzten leide dadurch erheblich, „werden sie doch in Sippenhaftung für auf der Shopfloorebe-nen nicht nachvollziehbare Entscheidungen genommen. Beides führt letztlich zu einem Gefühl des Alleine-gelassen-Seins bei den Mitarbeitern mit ihren Ängsten und auch Wünschen."

"Ätzende" Vorgesetzte

Was Breitstadt mit spürbarem Bemühen um Ausgewogenheit beschreibt, bringt ein Kollege von ihm mit der Bitte, anonym bleiben zu dürfen, knallhart auf den Punkt: „Dieser Typ Vorgesetzter ist wirklich ätzend, nimmt in dem Masse zu, in dem die Karriereristen nur noch kurz auf den jeweiligen Positionen verbleiben, nur über Zielvereinbarung geführt werden, die monetäre aber keine weiche Ziele mehr beinhalten, und damit auch dem rücksichtslosen Umgangston Vorschub leisten. Der Kahlschlag in der Mitarbeiterbeziehung und der Verlust an Commitment wird nicht sanktioniert. Aber die Dinge stinken vom Kopf her, Wasser predigen und Wein trinken ist ja derzeit in, und das geht bis unten durch, es geht nicht mehr um Miteinander, sondern um Machtausübung." 

Mit anderen Worten: Das Trachten einer sich ausbreitenden Generation von Führungskräften gilt aus charakterlichen wie institutionellen Gründen mitnichten mehr einer gemeinsamen Sache, sondern einzig und allein ihren Zielen, sich selbst. Diese tendenziell narzisstische Führungskraft kennt nur einen Platz für sich: den Mittelpunkt jedweder Aufmerksamkeit. Und nur ein Verhalten ihrer Umgebung: die Unterwerfung. Die Gefühle ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen in ihrem Denken und Trachten keine Rolle. Für sie sind das unausgesprochen und gar nicht mal so selten auch verächtlich zu verstehen gegeben Hofschranzen, Lakaien, nützliche Statisten für ihre Selbstbespiegelungen und egoistischen Zwecke. Sie fühlen sich anderen turmhoch überlegen. Und zeigen dies auch. Entsprechend fordern sie gebührenden Respekt, sind beratungsresistent und scheuen vor keiner Manipulation zurück. 

Und doch warnt Hinterhuber davor, diesen Narzissmus in Bausch und Bogen zu verdammen. Hat ihn seine Erfahrung doch gelehrt: ein gewisses Maß an Narzissmus hat jeder, der in eine Führungsposition gelangt ist. Eine Portion Narzissmus, der Glaube an sich selbst, sei sogar notwendig, um als Führender et-was bewirken zu können. Doch ab einem bestimmten Maß schlage dieser notwendige Narzissmus von einem produktiven in einen destruktiven um. 

Doch wo verläuft die Grenze zwischen förderlich und schädlich? Produktive narzisstische Führungspersönlichkeiten sehen ihre Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter als Partner. Gemeinsam wollen sie das Unternehmen erfolgreich im Markt positionieren und in die Zukunft führen. Sie möchten verändern, um zu ver-bessern, um die Firma voran zu bringen. Destruktive narzisstische Führungspersönlichkeiten sehen in ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Instrumente zu ihrer eigenen Zielerreichung. 

Institutionalisiert respektlos

Ein solches Verhalten bedeutet für das Unternehmen große Gefahr. Heißt diese Einstellung doch: Abwertung von Personen und Teams, die nicht den eigenen Zwecken dienen; ungenügende Förderung und Nutzung der ungehoben in den Mitarbeitern schlummernden Fähigkeiten. Kurz, „keine Personalentwicklung aus dem Laufenden heraus", wie es Weegen ausdrückt. Das kann ein Unternehmen rasch auf die schiefe Bahn bringen und in den Ruin führen. An Beispielen dafür mangelt es nicht. 

Wie schützt sich ein Betrieb vor dieser Gefahr? Für Weegen, dessen Spezialgebiet die Förderung von Zusammenarbeit ist, „mit einer gewissen institutionalisier-ten Respektlosigkeit und einem entsprechenden Widerspruchsgeist!" Für ihn steht fest: „Wir brauchen weniger angepasstes Verhalten in den Betrieben!" Mit dem vorherrschenden und leider auch erwarteten obrigkeitsbezogenen Denken würden enorme Fähigkeitspotentiale einfach brach liegen gelassen. Am deutlichsten zeigt sich das für ihn im innovativen Geschehen. Für viel Geld würden Kreativitäts-, Ideen- und Innovationsworkshops inszeniert. Geld, das bei einer Kultur des Vertrauens und der Offenheit im Unternehmen, in der begründeter Widerspruch nicht nur gewünscht, sondern Pflicht ist und durch einen in der Zielsetzung auf Erkenntnis, nicht Strafe gegründeten Umgang mit Fehlern „locker eingespart werden könnte."

Fazit von Weegen: „Den meisten Betrieben fehlt es nicht an kreativen, innovativen Köpfen, die Verbesserungen anstoßen können. Wohl aber an den Fähigkeiten, mit ihnen umzugehen und deren Potentiale zu nutzen!" Oder, wie Hans Hinterhuber es süffisant sagt: „Es fehlt nicht an großen Geistern unter den Mitarbeitern. Was zu schaffen macht, sind die vielen kleinen Geister auf den Chefsesseln!" (Hartmut Volk, DER STANDARD, Printausgabe, 30./31.1.2010)