Standard: War das überhaupt Champagner, mit dem Sie in Paris im Mai 2000 angestoßen haben? Auf dem Foto schaut das eher nach Weingläsern aus. 

Gusenbauer: Ich gehe davon aus, dass es Champagner war. Bekanntlich hat dieses Treffen am Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs stattgefunden. Das ist in Frankreich ein Feiertag. Und in Frankreich trinkt man keinen Grünen Veltliner, sondern Champagner. 

Standard: Können Sie sich noch daran erinnern, wer Ihnen in Österreich zum ersten Mal den Vorwurf des Champagnisierens gemacht hat? 

Gusenbauer: Ich glaube, es war der Westenthaler.

Standard: Waren Sie selbst an der Verhängung der Sanktionen der EU 14 gegen Österreich beteiligt? Haben Sie darum ersucht oder Druck gemacht? Wer hat das in Österreich betrieben? 

Gusenbauer: Meine Wahrnehmung dazu ist eine Nullwahrnehmung, denn ich war damals noch nicht Parteivorsitzender. Was hier im Vorfeld stattgefunden hat, kann ich aus eigener Beobachtung nicht beurteilen. Was man aber gehört hat, ist, dass Wolfgang Schüssel bei einem Treffen in Istanbul _von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac gewarnt wurde, eine solche Koalition zu bilden. Schüssel hat darauf gemeint, niemals, jamais. 

Standard: Frankreichs Europaminister Pierre Moscovici hat später behauptet, die Sanktionen seien von der SPÖ gefordert worden.
Gusenbauer: Ich könnte das nicht bestätigen, und Viktor Klima hat diesbezüglich auch nie eine Äußerung gemacht. 

Standard: Wie ist es Ihnen selbst mit den Sanktionen ergangen? Für die SPÖ muss das eine Genugtuung gewesen sein. Auf der anderen Seite haben die Sanktionen Schwarz-Blau durchaus genutzt. 

Gusenbauer: Ich habe diesbezüglich nie eine Genugtuung empfunden. Es ist das Normalste in der Demokratie, dass es zu einem _Regierungswechsel kommt. Die Maßnahmen der EU 14 habe ich von Anfang an als Belastung empfunden, weil in Österreich keine normale Oppositionspolitik möglich war. Die Regierung hat das geschickt genutzt. Sie hatte zwar eine parlamentarische Mehrheit, aber kaum eine öffentliche Legitimation. Mit der Darstellung des Außenfeindes Europäische Union hat sie sich letztlich jene Legitimation verschafft, die sie vorher nicht gehabt hat. Eine normale innenpolitische Auseinandersetzung war lange Zeit nicht möglich, alles wurde nur unter dem Titel dieser Maßnahmen abgehandelt.

Standard: Und Sie wurden als Verräter angefeindet. 

Gusenbauer: Das war eine doppelbödige Angelegenheit. Wolfgang Schüssel hat mich persönlich ersucht, meine Kontakte in Europa zu nutzen, um Bewegung in die Angelegenheit zu bringen und diese Maßnahmen wegzukriegen. Und wenn ich dann jemanden in Europa getroffen habe, bin ich als Volksfeind dargestellt worden.
Standard: Was haben Sie sich gedacht, als der belgische Außenminister Louis Michel einen Urlaubs- und Skifahrboykott gegen Österreich angekündigt hat? 

Gusenbauer: Das war ein völliger Unsinn. Damit hat er all jenen Vorschub geleistet, die gesagt haben, die Maßnahmen richten sich nicht gegen die schwarz-blaue Regierung, sondern gegen Österreich. Zu sagen, belgische Schulkinder sollen nicht mehr nach Österreich fahren, das war dermaßen daneben. Die Reaktion der EU 14 war nicht durchdacht, sie war nicht adäquat, und sie war von Einzelnen völlig überzogen.

Standard: Als die drei Weisen eingesetzt wurden, um einen Bericht über Österreich zu verfassen, war da das Ende der Sanktionen absehbar?
Gusenbauer: So habe ich es verstanden. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist den Regierungen klar geworden, dass Europa nur funktioniert, wenn es ein Zusammenwirken aller 15 gibt. Und Österreich ist eben ein Teil davon. Auf irgendeine Art musste man aus dieser Malaise wieder herauskommen. Die EU 14 waren mit ihren Maßnahmen doch relativ weit gegangen, da konnte man nicht sang- und klanglos zur Tagesordnung übergehen. Das Einsetzen dieses Weisenkomitees war eine Möglichkeit, hier zu einer Exit-Strategie zu kommen.

Standard: In Italien kam 2001 Silvio Berlusconi an die Macht - mit einer Regierung, die kaum weniger rechts war als Schwarz-Blau und die auch nicht sehr europäisch orientiert war. Da gab es dann keine adäquate Reaktion aus Europa.

Gusenbauer: Die Regierungsbildung in Italien - im Wesentlichen eine Koalition aus drei Parteien, der Forza Italia des Berlusconi, der Lega Nord und der italienischen Faschisten - hat gezeigt, dass es in Europa nicht möglich ist, sich in die Regierungsbildung eines Landes einzumischen. Nachdem man sich in Österreich schon die Finger verbrannt hatte, war die Reaktion gegenüber der italienischen Regierungsbildung dann dementsprechend zahnlos.

Standard: Die SPÖ konnte den Umstand, dass Schwarz-Blau nicht sonderlich beliebt war, im ersten Anlauf kaum nutzen. Schüssel kam 2002 auf 42 Prozent. 1999 war er mit knapp 27 Prozent Dritter. War dieser Erfolg der ÖVP eine direkte Reaktion auf die Sanktionen?

Gusenbauer: Na, das glaube ich _weniger. Entscheidend war die Selbstzerstörung der FPÖ, da hat es einen massiven Stimmentransfer zur ÖVP gegeben. Erst danach konnte die SPÖ in der Oppositionsrolle stärker Fuß fassen. Von 2000 bis 2002 ist ein Gutteil der Zeit mit der Diskussion über die Maßnahmen vergangen. Erst als die Auswirkungen des neoliberalen Projekts für die Menschen spürbar wurden, konnte die SPÖ die sozialen Fragen in den Vordergrund rücken und gewinnen. (Michael Völker, Printausgabe, 30.01.2010)