Auch kleine Schritte bringen einen ans Ziel. Die britische Band Hot Chip veröffent-licht ihr viertes Album "One Life Stand".

Foto: EMI

Wien - Langsam akzeptiert man, dass die Zeiten der Innovation im Pop weitgehend vorbei sind. Das stimmt jetzt einmal bis zum nächsten großen Ideenschub, aber zurzeit kann sich kaum jemand eine tatsächliche Neuschöpfung vorstellen, der eine auch nur annähernd so revolutionäre Wirkung innewohnte, wie sie Techno oder HipHop ausgezeichnet hat. Ohne neue Technologie muss das Neue, das Pop lange wesenseigen begleitet hat, auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Macht nichts.

Das System Pop, eine Mischung aus Reflexion und Einfluss, bewegt sich dennoch. Auch kleine Schritte zählen. Und warum nicht auch einmal am Stand treten, verweilen, wenn etwas gut ist? Schließlich hat Pop längst auch museale Enklaven gebildet, in denen einstige Revolutionsmomente für nostalgische Empfindungen konserviert werden. Siehe Rolling Stones, Bruce Springsteen, Bob Dylan, Neil Young et al. Legitim.

Auch die britische Band Hot Chip sichert auf ihrem neuen Album One Life Stand (EMI) lieber den eigenen Status ab, als ihn zugunsten unsicherer Experimente aufzugeben. Schließlich bedeutet Stil auch Konsequenz. Die Zukunft kann warten, sie bleibt erst einmal, wie sie ist.

Ab seinem 2004 erschienenen Debüt Coming On Strong galt der britische Fünfer als eine jener Formationen, die ihre Nase vorne hatten, während rundum einer fröhlichen Revival-Kultur zugesprochen wurde. Hot Chip verschmolzen mit großer Verve und Selbstverständlichkeit den klassischen Popsong mit Dancefloor-Tracks.

Dieses Überwinden alter Gräben brachte jene Gleichzeitigkeit der Stile, die die Nullerjahre charakterisierte. Alles ging, aber wenig ging auf. Neben dem US-amerikanischen LCD Soundsystem schufen Hot Chip auf Alben wie The Warning (2006) und Made In The Dark (2008) eine so verwegene wie verführende Popmusik. Disco-Rock, House-Pop - die Fragen nach der passenden Nomenklatur wurde in der Begeisterung gar nicht gestellt, die Antworten darauf waren im Wesentlichen egal. Hot Chip schöpften aus dem Vollen, ohne zu übersättigen.

Geklimper und Zischeln

Dass Hot Chip sich und ihr Publikum mit ihrem vierten Album nun nicht mehr wirklich überraschen können, sieht man ihnen da gerne nach. Zumal das Werk auch nicht abfällt, sondern sich nur etwas bescheidet, stärker das Songmodell berücksichtigt - mit all dem technoiden Geklimper, Getucker, Rascheln und Zischeln, das notwendig ist, um weiterhin das Köpfchen dazu zu wippen.

Alexis Taylor veredelt diese hybride Musik mit seinem melancholischen Falsettgesang, der klingt, als wäre ihm eben die Nase tamponiert worden. Das passt zum Nerd-Image, das im Pop reflexartig allen Brillenträgern angedichtet wird, die sich nicht rechtzeitig für Haftschalen entscheiden oder für eine Laserkorrektur ihrer Hornhaut zu feig sind. Aber auch Brillenträger tanzen.

One Life Stand tänzelt wieder euphorisch bis zart verschnupft durch die Referenzhölle, die von den Dancefloor-Melancholikern New Order über die Pet Shop Boys bis zu den Hysterikern Sparks reicht. Letztgenannte haben übrigens mit Exotic Creatures Of The Deep (2008) ein Werk geschaffen, das locker als fünftes Hot-Chip-Album durchginge.

Man hört also eine erlesene Mischung aus (Vocoder-)Gesang, House-Beats, Konserven-Streichern, Getucker aus dem 1980er-Jahre Electro oder Rhythmen, die man bei geringerer Zuneigung auch Phil Collins anrechnen könnte. Elektronischen Calypso. Hölzernen Techno. Dieses pophistorische Schlaumeiertum, die Akribie der Auskenner so wohldosiert in den infizierendsten Songs anzuwenden ist die (eigentliche) Kunst von Hot Chip, die zu einer raren Subtilität am Dancefloor führt. Mission erfüllt. Die Party geht weiter. Bleibt abzuwarten, wie erwähntes LCD Soundsystem heuer nachlegen kann. Dessen neues Album erscheint im Frühling. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.01.2010)