"Ein Theologe fehlt uns noch": Markenfachmann Peter Deisenberger.

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STANDARD: Herr Deisenberger, Word-Raps stehen meist am Ende von Interviews, ich möchte mit einem anfangen. Was fällt Ihnen zu diesen Marken ein: erstens Apple?

Deisenberger: Für mich eine der vorbildlichsten Marken überhaupt. Das Interessante ist, dass man bei Apple nie weiß, was als nächstes kommen wird. Aber der Kunde erkennt etwas sofort als Apple-Produkt. Es ist innovativ, benutzerfreundlich und exzellent designt, einer speziellen Kultur zugehörig. Apple ist ganz oben in der Markenstratosphäre.

Wenn ich einen Punk vor die Wahl zwischen einem geschorenen Pudel und einem Schäferhund stelle, weiß er sofort intuitiv, was zu ihm passt, was zu seiner Kultur gehört. So sollte auch ein Unternehmen funktionieren, so funktioniert Apple.

STANDARD:  Google?

Deisenberger: Beweist, dass man mit einem ziemlich hässlichen Logo als Marke hervorragend funktionieren kann.

STANDARD: Blausiegel?

Deisenberger: Das gibt's noch? Ich habe gemeint, Durex sei der Weltmarktführer. Zu Blausiegel assoziiere ich andere schöne alte Marken: Schiesser, Saab oder Schuco. Hätte ich viel Geld, würde ich ein paar kaufen und versuchen, daraus neue Kultmarken zu machen.

STANDARD: Red Bull?

Deisenberger: Didi Mateschitz ist ein exzellenter Marketier und führt die Marke hervorragend. Ich hab nur mit dem Produkt ein Problem: Ich verstehe nicht, wie das jemand trinken kann. Aber in relativ kurzer Zeit eine Marke mit einem Markenwert von zwölf Milliarden aufzubauen, noch dazu als Österreicher, das muss ihm erst einmal einer nachmachen.

STANDARD: Warum "noch dazu als Österreicher"?

Deisenberger: Das Verständnis dafür, was eine Marke ist, ist in Österreich völlig unterbelichtet. In Österreich finden Sie jede Menge Unternehmer, die glauben, dass die Werbung die Marke sei. Wenn Sie das einem Amerikaner erzählen, wird er sich vor Lachen auf die Schenkel klopfen.

STANDARD: Wenn nicht die Werbung die Marke ist - was ist die Marke dann?

Deisenberger: Lassen Sie mich ein paar Vorurteile ausräumen: Eine Marke ist kein Logo. Eine Marke ist nicht das Produkt. Eine Marke ist nicht gleich Corporate Design.

All das gehört zur semiotischen, zeichenbezogenen Komponente eines Unternehmens. Es ist verständlich und legitim, dass man nach außen hin in Hongkong auf dieselbe Art in Erscheinung treten will wie in Wien oder London, aber das macht noch lange keine Marke aus. Es gibt eine knappe Markendefinition des amerikanischen Werbefachmanns Eric Marder, die ich sehr mag: Label and Fable. Für eine Marke brauche ich zusätzlich Geschichten, die ich auf allen Sinneskanälen erzähle, visuell, akustisch, taktil und so fort. Die Marke ist, wenn Sie so wollen, die Weltanschauung, die Philosophie, ein zentrales Steuerungssystem, etwas, was einem Unternehmen Identität verleiht.

STANDARD:  Warum sollte das für österreichische Unternehmer so schwer zu verstehen sein?

Deisenberger: Ich glaube, das hat mit einem Mangel an kulturellen Kompetenzen zu tun, der historisch-politische Gründe hat. Das Bürgertum in Österreich ist unter den Nazis ausgerottet worden. Es gibt heute viele Bürger, die dem Geld nach Bürger sind, nicht aber nach ihren kulturellen Fähigkeiten. Zu den bürgerlichen Tugenden gehört auch, dass ich meine Kompetenzgrenzen kenne. Mir ist es im Ausland nie passiert, dass mir ein Auftraggeber meinen Job erklärt. In Österreich herrscht aber eine "Wer zahlt, schafft an"-Mentalität, an der ich immer gelitten habe.

Zweitens glaube ich, dass es in der Managementausbildung grobe Mängel gibt. Es war okay, wenn in den 1950ern ein Techniker oder in den 70ern ein Jurist oder BWLer CEO (Chief Executive Officer) war. Heute müsste ein Manager in Wahrheit zig Kulturtechniken beherrschen, vor allem die Kulturtechnik, eine Marke zu führen. Das ist so wichtig, weil die Marke das eigentliche Orientierungssystem eines Unternehmens ist, weit stärker als die Zahlenorientierung oder eine Unternehmensstrategie. Haben Sie schon einmal einen Schizophrenen erlebt?

STANDARD:  Ja.

Deisenberger: Dann werden Sie wissen, dass ein Schizophrener Angst machen kann. Er sagt etwas mit einem unpassenden Gesichtsausdruck und verhält sich dazu noch völlig unpassend. Bei Unternehmen ist das gang und gäbe. Jan Teunen, ein holländischer Kollege, hat es hübsch formuliert: Die meisten Unternehmen behaupten von sich, sie seien eine Rose, aber sie sehen aus wie eine Tulpe und riechen wie ein Maiglöckchen.

Ein Beispiel: Als die Verstaatlichte privatisiert wurde, wollte sie natürlich sofort modern, dynamisch und innovativ sein. Das wurde in der Werbung kommuniziert, aber dann sind Sie beim ersten konkreten Kontakt mit der Firma womöglich zu einem Portier gekommen, der Sie gefragt hat: "No, wos woin S' denn?". Damit hat man die Werbemillionen umsonst hinausgeworfen.

STANDARD:  Was tut eine Brandingagentur wie die Ihre?

Deisenberger: Branding ist in Österreich ein unaufbereiteter Markt. Beim Branding sind wir heute dort, wo wir bei der klassischen PR vor 50 und bei den Investor Relations vor 30 Jahren standen. Die Leute, die für uns arbeiten, sind zu einem Drittel klassische Designer und zu einem weiteren Drittel Unternehmensberater. Das dritte Drittel, das an der Entwicklung von Marken arbeitet, sind Leute, die in den unterschiedlichsten Kulturtechniken zu Hause sind, Philosophen, Soziologen, Medienleute. Ein Theologe fehlt uns noch, den brauchen wir unbedingt.

STANDARD:  Was kann man überhaupt branden? Können Sie mit der "Marke Ich" etwas anfangen?

Deisenberger: Nein, das halte ich für einen Auswuchs der Markentechnik. Aber für mich ist es etwa zulässig, ein Land als Marke zu sehen. Die Marke ist das beste Tool, um die hyperkomplexen Eigenschaften eines Landes zu reduzieren. Im internationalen Umfeld wird das immer wichtiger. Auf einer rein technischen Ebene können uns China und Indien in vieler Hinsicht das Wasser reichen - desto bedeutsamer wird das kulturelle Branding für Europa.

STANDARD:  Ist Österreich ein gut geführtes Markenzeichen?

Deisenberger: Österreichs Markenauftritt ist im Vergleich zu dem der BRD zum Genieren. In Deutschland hat jede staatliche Website, ob Bundesverfassungsgericht oder Ministerium, ein und dasselbe Erscheinungsbild - und wohlgemerkt, da reden wir nur vom äußeren Erscheinungsbild.

In Österreich hat man den Eindruck, jedes Ministerium macht, was es will, und jeder Minister lässt sein eigenes Logo erfinden. Dabei müsste es so sein, dass die Republik die Dachmarke ist und steuert, was sich auf den Ebenen darunter abspielt. Es ist ja nicht so, dass die Ministerien Mitbewerber der Republik wären, die sich gegen sie behaupten müssen.

STANDARD:  Sie sprechen oft von "Kultur". Was würden Sie jemandem sagen, der Ihnen entgegenhält, Markentechnik und Kultur seien unvereinbare Größen?

Deisenberger: Das ist ein altes Vorurteil. Der Kurzschluss geht so: Markentechnik kommt aus der Wirtschaft; Wirtschaft ist gleich Kommerz; ergo ist Markentechnik Kommerzialisierung der Kunst und ein Feind der Freiheit der Kunst. Aber heute kann kein Intendant, kein Leiter einer Kulturinstitution ohne Markentechnik professionell agieren, das hat ja auch mein alter Jugendfreund Klaus Albrecht Schröder bestens verstanden. Würden Sie sagen, die Tate Modern oder die Pinakothek sind Kommerztempel? Natürlich nicht, und trotzdem sind das markentechnisch hervorragend geführte Institutionen. (Christoph Winder, DER STANDARD; Printausgabe, Album, 30./31.1.2010)