1.  Kommenden Dienstag ist im Wiener Republikanischen Klub eine Diskussion zum Thema "Sanktionen - 10 Jahre danach" anberaumt. Anlass: die Präsentation des gleichnamigen, von den Konzeptkünstlern Martin Strauß und Karl-Heinz Ströhle herausgegebenen Buches; Mitwirkende - neben Koherausgeber Strauß - Nina Horacek, Sebastian Kurat, Doron Rabinovici, Anneliese Rohrer und - bis vor kurzem - der ehemalige Chefredakteur des Standard, Gerfried Sperl.
  2. Vergangenen Montag hatte Sperl in seiner Kolumne ("Sanktionen und die österreichische Opferrolle") das Buch rezensiert und unter Bezugnahme auf einen Text von Strauß problematisiert, weil dieser "die Haltung der EU-14 bedingungslos gutheißt und jede Kritik daran als antieuropäisch geißelt".
  3. Chronologie der Reaktionen:

(26. 1.) Gerfried Sperl wirft in seinem Kommentar neuerlich die These auf, dass die so genannten "Sanktionen" von jenen europäischen Regierungen initiiert worden seien, die "von den rechtsradikalen Parteien in den eigenen Ländern ablenken wollten". Das Gegenteil ist richtig. Die Maßnahmen gegen Österreich wurden gerade von Staaten wie Frankreich oder Belgien forciert, deren Regierungen bei sich zu Hause den Kampf gegen die Rechtsextremen am entschiedensten führten und diese jeweils am konsequentesten ausgrenzten.

Warum sich Herr Sperl über meinen Text derart echauffiert, hat freilich andere Gründe als die von ihm genannten. Es wird in meinem Buchbeitrag nämlich auch eine merkwürdige Neigung erwähnt, mit der damals selbst qualifizierte Journalisten versteckte und geheime Ursachen der Krise herbei fantasierten. Jene obskuren Theorien, in denen die kleine Alpenrepublik etwa als wehrloses Objekt einer gesamteuropäischen Entlastungsprojektion halluziniert wurde. In diesem Zusammenhang verweise ich in einer Fußnote auch auf Herrn Sperls im selben Jahr erschienenes Buch "Der Machtwechsel", das als "ein extremes Beispiel für diesen seltsamen Erfindungsgeist" charakterisiert wird: "Sperl bemüht selbst abseitigste Spekulationen: von jener lächerlichen 'Sündenbock-Theorie', die über Seiten hin ausgebreitet wird, bis zu der abstrusen Idee, die Sanktionen seien von Frankreich aus nationalem Hegemoniestreben mobilisiert worden, 'um einen Keil zwischen Deutschland und Österreich zu treiben'. Das wirkliche Motiv - Haiders immer wiederkehrendes, unsägliches NS-Geschwätz, das ihn und damit die FPÖ für alle europäischen Regierungen schlicht inakzeptabel gemacht hatte - wird dagegen im gesamten Buch nicht ein einziges mal explizit angeführt."

Mich würde interessieren, ob Herr Sperl seine Publikation in dieser Frage rückblickend ebenfalls jenen "differenzierteren Positionen" zurechnet, die ich in meinem Text angeblich attackierte.
Martin Strauß

(27. 1.) Sg. Herr Strauß: Sie ignorieren nach wie vor meine Kommentare vom Februar 2000 und meine permanente Kritik der FPÖ und Jörg Haiders. In diesem Licht habe ich keine Lust, an der Diskussion am 2. Februar teilzunehmen. Gerfried Sperl

(28. 1.) Sehr geehrter Herr Dr. Sperl, darf ich das klarstellen: In meinem Buchtext behaupte ich nicht, dass damals im Standard - unter anderen von Ihnen - sowie in den anderen liberalen Medien überhaupt keine Kommentare und Artikel erschienen, die die europäische Position vertraten. Dies wäre auch schlicht unwahr und entspräche nicht den Fakten. Meine Beobachtung war vielmehr, dass nach einem ersten Schock sich zusehends auch in diesen Medien die EU-kritischen Beiträge häuften, wobei das Niveau der Argumentation (die Unterstellung einer "sozialistischen Verschwörung gegen Österreich", die Bezichtigung eines "überheblichen Moralisierens", der Vorwurf der "Heuchelei", genauso aber derjenige der "Hysterie" usw.) im selben Maße nach unten absank.

Noch gravierender aber war, dass in den österreichischen Medien das zentrale Motiv der Maßnahmen keineswegs in angemessener Weise dargelegt und gegen solche Vorhaltungen in Stellung gebracht wurde: Die Tatsache nämlich, dass die EU nach dem Krieg als Antwort auf die monströsen Verbrechen, die epochale Katastrophe des Nationalsozialismus initiiert wurde - und deshalb die Gefahr, dass nun ein Politiker wie Haider das Recht haben würde, in Brüssel mitzureden, als ein Anschlag auf das innerste politisch-moralische Fundament der Union wahrgenommen werden musste.

Gegenüber diesem Zusammenhang aber sahen all die vorgebrachten "Gegenargumente" sehr schwach aus. - Wie auch immer, 10 Jahre nach dem Eklat ist evident, wie die Deutungshegemonie bezüglich der Einschätzung der "Sanktionen" in der Austro-Öffentlichkeit zu bewerten ist: Die schwarzblaue Regierungskoalition errang einen 100:0 Sieg.

Schon allein dieses Faktum zeigt, dass die Anzahl und das publizistische Gewicht jener EU-freundlichen Stellungnahmen, die Sie rückblickend einmahnen, unterm Strich nicht besonders groß gewesen sein können.

Wir bedauern, dass Sie bei der Diskussionsrunde am nächsten Dienstag nicht dabei sein wollen.
Martin Strauß

(29.1.) Sg. Herr Strauß: Diese Zeitung hat seit ihrer Gründung zu den vehementen Unterstützern der europäischen Einigung gehört. Trotzdem waren und sind wir keine Prawda der EU.
Wir gehörten im Meinungsteil der Zeitung zu den heftigsten Gegnern von Schwarz-Blau und haben daher auch die Sorgen anderer Länder über einen Rechtsruck in einem der beiden Stammländer des Nationalsozialismus geteilt.

Gleichzeitig hatten wir aber rechtliche Bedenken gegen die Sanktionen der EU 14 und kritisiert, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde (siehe Italien und Lega Nord). (Gerfried Sperl, DER STANDARD, Printausgabe, 30./31.1.2010)