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Gregor Schlierenzauer fasst sich nach seinem Siegsprung an den Helm.

Foto: EPA/Gebert

Oberstdorf - Gemischte Gefühle im Schanzen-Auslauf von Oberstdorf: Österreichs Skiflug-Team hat am Samstag den Auftakt der FIS-Team-Tour gewonnen. Doch Martin Koch, Andreas Kofler, Wolfgang Loitzl und vor allem Gregor Schlierenzauer feierten auf der Heini-Klopfer-Schanze in Oberstdorf zunächst nicht überschwänglich. Erstmals war im Weltcup ein neues Reglement getestet worden, bei dem sowohl Windverhältnisse als auch geänderte Anlauflängen in Form von speziellen Schanzenfaktoren einberechnet wurden. Dies sorgte nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei Sportlern und Trainern für Verwirrung.

Während man den Schluss-Springer, der seine Mannschaft zum Sieg führt, normalerweise jubeln sieht, war es diesmal ein sich mehrmals auf den Helm klopfender Schlierenzauer. Sein Kommentar in Richtung Jury, die ihm um insgesamt neun Luken weniger Anlauf gegeben hatte als vielen seiner Vorgänger in der letzten Nationengruppe. Österreich verlor nie die Führung und gewann 21,2 Punkte vor Finnland und 55,1 vor Norwegen. Gastgeber Deutschland wurde Vierter.

"Grundsätzlich muss man wissen, dass uns die Regel als beste Mannschaft eigentlich noch einmal entgegenkommt. Früher haben uns schlechte Verhältnisse etwas aus der Bahn bringen können, das wird jetzt etwas gepuffert", meinte Cheftrainer Alexander Pointner, der aber dennoch den extrem unübersichtlichen Bewerb sehr beklagte.

Keine Transparenz

"Erstens soll es transparent werden, es war heute alles andere als transparent. Durch die Anlaufverschiebungen sind wir fast schwindlig geworden. Wenn ich als Trainer nicht mehr weiß, wie weit man springen muss, damit man in Führung geht, wie soll es dann ein Zuschauer mitkriegen?", fragte Pointner nicht unberechtigt.

Die neue Regel, die bei den Nordischen Kombinierern die gesamte Saison durchgezogen wird, sorgte für teilweise kuriose Situationen. Wenn bei Aufwindverhältnissen einem Gregor Schlierenzauer im zweiten Durchgang die "Flügel" dermaßen gestutzt werden, dass er mit neun Luken weniger Anlauf springt, dann landet selbst ein Überflieger wie er wegen zu geringer Anlauf-Stundenkilometer (97,4 gegenüber teilweise über 100 km/h in seiner Nationengruppe) nur bei 169,5 Metern. Dementsprechend verärgert reagierte der siebenfache Saisonsieger aus Tirol, obwohl der Sprung auch aus anderen Gründen nicht der beste war.

Schlierenzauer unter Zeitdruck

„Bevor ich meinen letzten Sprung machen durfte, herrschte am Anlauf ziemliche Verwirrung. Zuerst war nicht klar, aus welcher Luke ich starten muss. Nachdem verkürzt wurde, wollte ich einen Vorspringer und der Starter gab mir zu verstehen, dass einer springen würde. Kurz darauf kam die Meldung von der Jury, dass aber kein Vorspringer notwendig sei", erklärte Schlierenzauer nach dem Wettbewerb. Dabei sei die Startuhr ständig weiter gelaufen und er hatte am Ende eine riesen Hektik, um noch rechtzeitig für den Sprung fertig zu werden, um eine Disqualifikation zu vermeiden. "Gerade beim Extremsport Skifliegen, müssten aber für jeden Springer vorhersehbare Abläufe gegeben sein. Wenn man so schnell, schnell ohne die richtige Vorbereitung und Konzentration über die Schanze muss, kann das auch schlimmere Folgen haben als einen verhauten Sprung", meinte der beste Skiflieger aller Zeiten zu seiner Situation vor dem zweiten Sprung. "Bei all den Diskussionen darf aber nicht übersehen werden, dass wir trotz allem gewonnen haben!"

Den Sieg der Österreicher konnte auch dies nicht mehr verhindern, obwohl der zuvor überlegene Vorsprung noch auf 21,2 Zähler schrumpfte.

Zur Moduserklärung: Für jede Schanze gibt es einen eigenen Windfaktor sowie einen Anlauflängenfaktor: Je mehr Aufwind, desto mehr Abzugspunkte, je mehr Rückenwind, desto mehr Pluspunkte in der Notenwertung. Sollte es zu einer Anlauflängenänderung kommen gilt ähnliches: So wurde zum Beispiel im ersten Durchgang vor Martin Koch um vier Luken verkürzt, ab diesem Zeitpunkt gab es bis zum Ende des Durchgangs (weil der Anlauf bis zum Ende des Heats nicht mehr verändert wurde) für jeden Springer plus 14,0 Punkte. Hat man aber gleichzeitig Aufwind werden von den 14 Punkten gleich wieder Punkte abgezogen.

Im zweiten Durchgang wurde das Ganze noch ein Stück komplizierter, weil sich die Jury zunächst zu einer Verlängerung entschloss, dann aber mehrmals verkürzte. "Man muss sich heute bewusst sein, dass die Regel missbraucht worden ist", empfand Pointner, dass diese eben nicht nur eingesetzt wurde, wenn es wirklich zu weit ging. "Man hat schon in der Qualifikation um 13 Luken verkürzen müssen, das ist dann nicht mehr Sinn der Sache." Man könne nach wie vor den Anlauf so wählen, um ihn an die Besten anzupassen. "Man will viele weite Flüge zeigen, und passt dann immer den Anlauf an. Das ist nicht die Ur-Idee des Skispringens."

Mit diesem System bestimme nicht mehr der beste Springer die Anlauflänge. "Das ärgert mich. Ich habe Dutzende Anrufe und SMS gekriegt, dass sich keiner mehr auskennt. Das tut mir einfach weh", betonte Pointner. Das immer weitere Verkürzen vor den Besten führe irgendwann zu einem Punkt, an dem es auf Messers Schneide ist. "Man geht dann auf eine Luke, bei der man weiß, es muss der Wind passen - wie es der Beste bis jetzt gehabt hat -, und es muss der Sprung passen. Man darf sich überhaupt keinen Fehler leisten."

Ob es zielführend ist, dass die Besten des Sports wegen derartiger Eingriffe durch ein Reglement nur noch für sie vergleichsweise "Hüpfer" machen, wird die Zukunft wohl weisen. Das Reglement soll in der restlichen Weltcup-Saison noch angewandt werden, bei den Olympischen Spielen in Whistler sowie bei der Skiflug-WM in Planica zum Saisonabschluss hingegen nicht. (APA/red)