Wie Philipp Stölzl und seine Filmpartner Momme Hinrichs und Torge Moller die Riefenstahl- und Wochenschau-Ästhetik adaptieren, ist eine Glanzleistung: Torsten Kerl als Rienzi.

Foto: Bettina Stoess

Musikgeschichtlich ist Wagners Rienzi das etwas monströse und hybride Frühwerk eines Endzwanzigers. Eine Gran Opera, die oft ziemlich italienisch klingt und Ohrwürmer bietet, die mit Nachhall wirken. Rezeptionsgeschichtlich ist dieses aus Bayreuth verbannte Frühwerk allerdings besonders braun kontaminiert.

Dass man Hitlers Lieblingsoper tatsächlich fast so wie ein Drehbuch der sogenannten Machtergreifung interpretieren kann, darauf hat jetzt an der Deutschen Oper Berlin der vor allem in Video und Film versierte deutsche Allround-Regisseur Philipp Stölzl gebaut. Die Parallelen der Chor-Tableaus und Tribunen-Auftritte zur Rhetorik und den Ritualen der Nazis sind verblüffend. Und beim Wagner-Verehrer Hitler ja keineswegs zufällig. Dass gerade im Rienzi auch sein eigener Untergang vorweggenommen wird, das hat der wohl übelste aller Wagnerianer geflissentlich übersehen.

Ausblick vom Obersalzberg

Stölzl, der sich bei den Salzburger Festspielen vor drei Jahren mit Benvenuto Cellini schon einmal einer Gran Opera im übervollen Breitbandformat genähert hatte, setzt auch heuer auf eine Melange aus großen Tableaus und eingebauten Videos. Wenn sich zur Ouvertüre der Vorhang öffnet, gibt's als Auftakt den berühmten Ausblick vom Obersalzberg. Mit Schreibtisch und einem von der Musik hingerissenen, tänzelnden Führer, der hier eher wie Göring aussieht. Die Wette, dass der alsbald, wie weiland Chaplins Großer Diktator, mit der Weltkugel Ball spielt, gewinnt man natürlich ebenso todsicher wie die über das Bild seines Untergangs im Bunker der Reichskanzlei.

Da steckt der erstaunlich kontinuierlich zu stimmlicher und mimischer Hochform auflaufende Torsten Kerl zwar immer noch in seiner weißen Tribunen- respektive Diktatorenuniform, gibt aber den Bruno-Ganz-Hitler aus dem Filmepos Der Untergang. Man mag dieses Zusammendenken von Kunstfigur und historischer Biografie für einen Kurzschluss halten. Szenische Energie, die über den auf zweieinhalb Stunden drastisch eingekürzten Abend hält, setzt er damit aber frei. Die geht zwar nicht in Richtung einer differenzierenden Charakterisierung Rienzis. Was in den Tableaus aber deutlich wird, ist die Selbstinszenierung des Machtwahns und die Verführbarkeit der Massen.

Für das Bild, in dem die Machtübernahme Rienzis vorbereitet wird, schweben futuristisch urbane Prospekte in den Berghof-Salon, den Ulrike Siegrist und Stölzl gebaut haben - was zusammen mit den grotesk maskierten Massen an die überdrehten Zwanzigerjahre erinnert. In einer Mischung aus Hitler- und Mussolini- Gestik und Orwells Großem Bruder geriert sich dann Rienzi in seinen stets auf die große Hintergrundleinwand übertragenen Reden ans Volk. Wie Stölzl und seine Filmpartner Momme Hinrichs und Torge Moller die Riefenstahl- und Wochenschau-Ästhetik adaptieren, ist eine Glanzleistung.

Wenn die Massen sich nur allzu willig ihrer individuellen Maskierung und bunten Kostümierung (Kathi Mauerer, Ursula Kudrna) entledigen und darunter schon die Einheitsuniformen dieses "Neuen Rom" wie ihre eigentliche Natur (!) zum Vorschein kommen, dann ist Schluss mit lustig. Bis zum bitteren Ende von Rienzi, seiner blonden Schwesterbraut Irene und ihrem Regime, über das die Sieger mit dem Victory-Zeichen triumphieren.

Sebastian Lang-Lessing hat das Orchester der Deutschen Oper zwar nicht in jedem Einzelton, aber doch im Großen und Ganzen wirkungssicher im Griff. Neben Torsten Kerl beeindrucken vor allem die dunkelsatt leuchtende Kate Aldrich mit ihrem Adriano, aber auch Camilla Nylund als kantable Irene. Da auch die Chöre ihrer Hauptrolle voll gerecht werden, darf die Deutsche Oper musikalisch einen Erfolg für sich verbuchen. Und dass es für die Regie auch kräftige Buhs gibt, das gehört bei einem relevant in Szene gesetzten Wagner dazu. (Joachim Lange aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 1. 2. 2010)