Heidi Schrodt ist Direktorin des Gymnasiums Rahlgasse und Vorsitzende der Initiative "BildungGrenzenlos".

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Es gibt wohl kaum ein anderes Land, in dem die Diskussion um Schule derartig ideologisch aufgeladen ist wie in Österreich. Diese Besonderheit hat bis jetzt einen umfassenden Bildungsdiskurs ebenso effizient verhindert wie eine tief greifende Bildungsreform und dazu geführt, dass sich das österreichische Schulsystem leider immer weiter von den internationalen Entwicklungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich entfernt.

Dass sich Österreich vor dem Hintergrund der Globalisierung oder der Weltwirtschaftskrise einen Stillstand der Bildungsreform nicht mehr leisten kann, haben viele wichtige Institutionen wie die Industriellenvereinigung, Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, ohnehin schon erkannt und fordern eine umfassende Reform ein. Dennoch sind die alten Muster nach wie vor erschreckend aktiv. So soll die neue Mittelschule schön klein bleiben, sodass sie vielleicht schon bald wieder alt geworden ist, bevor das Neue umfassend zum Tragen kommt. Und die Ganztagsschule, die demnächst in Wien zum Gegenstand einer Volksbefragung gemacht wird, traut sich heutzutage zwar aus politischer Korrektheit kaum jemand mehr "Zwangstagsschule" zu nennen, aber gemeint ist das Gleiche, wenn reflexartig die "Freiwilligkeit" eingefordert wird.

Der Subtext dazu: Für die, die es nicht "notwendig haben" , nachmittags in der Schule zu sein, soll diese so organisiert sein, dass der eigentliche Unterricht zu Mittag endet. Die Mutter, die schon zu Hause mit dem Mittagessen wartet und dann die Aufgaben mitmacht und erledigt, was am Vormittag nicht erledigt wurde, das ist die Vorstellung, die sich hinter der Forderung nach Freiwilligkeit verbirgt.

Die starren Muster haben zur Folge, dass man eine abwehrende Haltung einnimmt, bevor überhaupt gefragt wird, wie eine solche Schule eigentlich aussehen könnte, was man dort lernt, wie man dort lebt und wie sie aussieht. Übrigens werden in einem Großteil Europas die Schulen ganztägig geführt und auf der ganzen Welt ist die gemeinsame Schule der Regelfall, also Synonym für Schule überhaupt, sodass es vielfach gar keine begriffliche Entsprechung für unsere "Ganztagsschule" oder "Gesamtschule" gibt.

Der Tag als Bildungseinheit

Dass kein mir bekannter Staat die Rückkehr zur Halbtagsschule oder zur frühen Selektion ernsthaft überlegt, hat vermutlich seinen Grund auch darin, dass aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen klar hervorgeht, dass eine frühe Selektion Kinder aus bildungsfernen Schichten zu einem hohen Prozentsatz von höherer Bildung ausschließt, und das will und kann sich heute niemand mehr leisten.

Wie könnte also eine Schule der Zukunft bei uns aussehen? Dass sie eine gemeinsame Schule ist, sollte außer Frage stehen. Sie ist außerdem ganztägig zu denken, das heißt, Unterricht und Freizeit wechseln einander ab. Es ist eine "neu konzipierte Schule, die den Tag als Bildungseinheit wahrnimmt" , wie es der steirische ÖVP-Bildungspolitiker Andreas Schnider sehr treffend zum Ausdruck bringt.

Wie gesagt: Es gibt diese Schule bereits in vielen Ländern, in unterschiedlichen Ausprägungen, aber jeweils mit einigen wesentlichen Konstanten: Auflösung der starren Unterrichtseinheiten, individualisiertes Lernen und Abgehen von in Jahrgängen organisierten hin zu jahrgangsübergreifend organisierten Verbänden. Auch die Leistungsbeurteilung ist völlig neu zu gestalten - der individuelle Lernprozess rückt ins Zentrum, Standards und zentrale Überprüfungen an den Nahtstellen im Schulsystem sorgen für nationale Vergleichbarkeit und Qualitätssicherung.

Die neue Schule braucht zudem neue Räume, das Modell "Gang - Klassen" bzw. "Tafel - Lehrertisch, Sitzreihen" wird abgelöst von flexiblen Einheiten, wodurch die ganze Schule zum Lernraum wird, der sich immer wieder anders gestalten kann. Und: In dieser neuen Schule gibt es - wie in jenen Ländern, die zu den Spitzenreitern in internationalen Bildungsvergleichsstudien zählen, bereits seit Jahren praktiziert - Stützpersonal wie Psychologen, Sozialarbeiter, oder speziell ausgebildete Förderlehrer für schwach oder hoch begabte Schüler/innen.

Wer aber soll das alles zahlen? Diese Frage möchte ich gerne an die Bundesländer weitergeben, die mit der Blockade einer grundlegenden Reform der Schulverwaltung wesentlich dazu beitragen, dass Millionen in der mehrgleisigen Bürokratie und Verwaltung versickern, die für eine Schulreform auf internationalem Niveau genützt werden könnten.

Natürlich kann eine Systemumstellung nicht ausschließlich durch die Reform der Schulverwaltung finanziert werden, doch wäre diese der logische erste Schritt. Die weiteren sind uns - theoretisch - schon bekannt. (Heidi Schrodt/DER STANDARD, 01.02.2010)