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Osteuropa muss neue Quellen für sein Wachstum finden, sagt Strauss-Kahn. Das Kapital aus dem Ausland ist versiegt.

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Der große Geldpumper: Dominique Strauss-Kahn, der Direktor des Internationalen Währungsfonds, erklärt András Szigetvari in Washington die Finanzkrise, warum er die Isländer gut versteht und Österreich aus dem Gröbsten heraus ist.

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STANDARD: Sie kommen von der politischen Linken Frankreichs. Haben Sie eigentlich jemals gegen den als turbokapitalistisch geltenden Währungsfonds demonstriert?

Strauss-Kahn:  Ich? Niemals. Ich habe immer die Idee vertreten, dass wir für die internationale Regulierung multilaterale Institutionen brauchen. Diese Krise war ein guter Beweis dafür. Diese Position ist übrigens kein Widerspruch zur Haltung der Linken. Der Chef der Welthandelsorganisation WTO ist mein langjähriger Freund Pascal Lamy, der nicht nur wie ich Franzose ist, sondern auch aus demselben ideologischen Milieu kommt. Für Multilateralismus interessieren sich genauso viele Linke wie Rechte.

STANDARD: Nach dem Ausbruch der Krise wurden viele Versprechen zur besseren Regulierung der Banken abgegeben. Seit der Lehman-Pleite 2008 ist aber wenig geschehen.

Strauss-Kahn: Das stimmt so nicht. Eine Menge ist geschehen. Vieles wurde vom Financial Stability Board (wurde 2009 von den G-20 gegründet, Anm.) mit dem Input des Währungsfonds angegangen. Das funktioniert nicht über Nacht. Es hat zwölf Jahre gedauert, um striktere Kapitalvorschriften für Banken aus dem Basel-II-Abkommen zu implementieren. Das ist also eine langwierige Arbeit.

STANDARD: Welche nennenswerten Reformen wurden umgesetzt?

Strauss-Kahn: Die Beschneidungen der Bonuszahlungen. Das mag nicht das wichtigste gewesen sein, aber es war sehr populär. Vieles wurde bei den Kapitalbestimmungen für Banken getan. Es geht aber nicht nur darum, neue Spielregeln aufzustellen. Wem nützen Regeln, wenn niemand darauf achtet, dass Banken sie einhalten? Für mich ist die Frage der Bankenaufsicht sogar wichtiger als neue Spielregeln.

STANDARD: Aber warum braucht Regulierung so viel Zeit? Der frühere IWF-Chefökonom Simon Johnson sagte unlängst, eine Finanzoligarchie regiere die Welt. Hat er recht?

Strauss-Kahn: Dies ist eines der Probleme: Die Banken kehren zu ihrem früheren Alltagsgeschäft zurück. Sie ändern ihr Verhalten nicht. Deshalb arbeiten wir gerade unter dem Mandat der G-20 daran, ein Modell für eine Steuer auf Finanzaktivitäten zu entwickeln, mit der wir dem risikoreichen Verhalten der Banken beikommen wollen.

STANDARD: Ist eine Art der Bankenbesteuerung notwendig?

Strauss-Kahn: Ja. Eine Besteuerung der Finanzaktivitäten ist aus zwei Gründen notwendig: erstens, um den Finanzsektor dazu zu bekommen, weniger Risiken einzugehen. Zweitens, um Geld für künftige Krisen zu bekommen. Welche Regulative auch geschaffen werden, sie sind keine Garantie dafür, dass es nicht zu einer weiteren Krise kommt. Woher bekomme ich also das Geld, um diese Krisen abfedern zu können? Wir haben diesmal gesehen, dass viele Länder nur zögerlich Kapital zur Verfügung gestellt haben. Ich mutmaße, dass es bei einer weiteren Krise fast unmöglich sein wird, Kapital von den Regierungen zu bekommen, um den Bankensektor zu retten. Eine Steuer, um dieses Geld aufzubringen, ist also eine Idee. Wir werden den G-20-Staaten im April einen konkreten Vorschlag machen.

STANDARD: Apropos "Wer zahlt die Zeche?": Island wird darüber abstimmen, ob der Staat ausländische Bankkunden entschädigen soll. Verstehen Sie, dass die Isländer nicht für Briten und Niederländer zahlen wollen?

Strauss-Kahn: Natürlich. Ich verstehe voll und ganz, dass die Isländer sich darüber aufregen, dass sie Schulden haben wegen dem, was die Banken getan haben. Der Mann auf der Straße in Reykjavík findet es total unfair, denn von dem, was die Banken taten, hat er nicht profitiert. Die Banken sind ein unglaubliches Risiko eingegangen und sind gescheitert.

STANDARD: Schwerpunkt der IWF-Hilfe war Osteuropa. Welche Rolle hatte der Währungsfonds bei der Stabilisierung der Region?

Strauss-Kahn: Wir waren entscheidend dafür verantwortlich, dass Zentraleuropa nicht zusammengebrochen ist. In Ungarn haben wir ein sehr umfassendes Programm der Regierung unterstützt. Ich möchte nicht sagen, dass dort heute alles in Ordnung ist, aber das Land ist auf dem richtigen Weg. Polen nutzte unser neues Instrument, die Flexible Credit Line, das ist eine Zusicherung, dass wir Warschau im Notfall Geldmittel bereitstellen würden. Das hat die Märkte beruhigt. In anderen Ländern wie Lettland, Rumänien, Serbien, Weißrussland und Ukraine ist die Lage schwieriger.

STANDARD: Der IWF agiert heute vorsichtiger, er verlangt keine bedingungslose Privatisierung mehr von den Staaten. War das eine der großen Lehren aus früheren Programmen, etwa in Asien?

Strauss-Kahn: Ja. Die frühere Politik des IWF, dieselbe Strategie für alle Länder zu wählen, war nicht der beste Weg. Wir müssen die Geschichte eines Landes und die politischen Realitäten mit einbeziehen. Vereinfacht gesagt sagen wir heute zu einem Land: "Okay, wir geben euch Geld, aber ihr müsst eure Staatsschulden abbauen. Ihr sagt uns, wie das funktionieren kann."

STANDARD: Trotzdem gibt es Kritik. Lettlands Premier hat im November 2009 im Standard-Interview kritisiert, der IWF setze auf alte Rezepte: Zuerst sparen, also Sozialausgaben kürzen, alles andere sei zweitrangig.

Strauss-Kahn: Das ist nicht länger der Fall. Aber wenn das Defizit eines Landes zu groß ist, wird man es verkleinern müssen.

STANDARD: Beim G-20-Gipfel in London wurden dem IWF 500 Milliarden Dollar bereitgestellt. Mit so viel Geld hätten Sie alle Staaten auffangen und Sparmaßnahmen erst nach der Krise verlangen können.

Strauss-Kahn: Diese Frage stellt sich nicht auf Ebene des Währungsfonds. Kein Staat wird die Überschuldung eines Landes finanzieren, das nicht versucht, seine Probleme in den Griff zu kriegen. Wir sind eine Institution, die von einem Aufsichtsrat geführt wird. Niemand geht zum Aufsichtsrat und sagt: "Okay, wir möchten zehn bis 20 Milliarden, weil der Markt unser Defizit nicht schlucken kann, wir es aber auch nicht verringern möchten."

STANDARD: Der IWF hat in seinen Berichten oft kritisiert, dass der Bankensektor in Europa Verluste zu langsam anerkennt. Wo steht Europa heute, wo Österreich?

Strauss-Kahn: Es gibt Verluste, die nicht anerkannt worden sind, auch in Österreich. Wir als Währungsfonds haben Erfahrungen aus 122 Bankenkrisen. Wenn es dabei einen roten Faden gibt, dann immer den, dass sich die Wirtschaft niemals erholt, bevor der Bankensektor nicht bereinigt wurde. Wird diese Bereinigung der Bilanz auf später verschoben, dann gibt es keine Besserung. Das bekannteste Beispiel ist Japan, wo ein riesiger Geldbetrag in die Ankurbelung der Wirtschaft geflossen ist, aber kein Resultat brachte, bis der japanische Bankensektor bereinigt wurde. Warum also halten wir an dieser Bilanzbereinigungssache fest? Weil wir wissen, dass dies eine Grundbedingung dafür ist, dass es besser wird.

STANDARD: Aber ist man in Europa zu langsam, wenn man Verluste anerkennen muss?

Strauss-Kahn: Ich würde nicht sagen in ganz Europa, aber in manchen Ländern ja. Österreich befindet sich hier im Mittelfeld. Es gibt noch einiges zu tun.

STANDARD: Geht vom österreichischen Bankensektor noch Gefahr aus?

Strauss-Kahn: Die meisten Gefahren wurden abgewendet. Aber es wäre falsch zu behaupten, dass es überhaupt keine mehr gebe.

STANDARD: Was ist mit der Hypo?

Strauss-Kahn: Die Hypo ist keine große Bank, sie war auf Slowenien und Kroatien ausgerichtet. Es gibt andere Banken, in denen die Belastungstests gezeigt haben, dass die Kapitaldecke im Falle neuer Schocks sehr dünn sein würde. Aber ich würde sagen, es geht von den österreichischen Banken keine große Gefahr mehr aus. Das hätte ich vor einem Jahr nicht gesagt.

STANDARD: Muss sich Osteuropa ein neues Wachstumsmodell suchen?

Strauss-Kahn: Eine Konsequenz aus der Krise ist, dass die Wachstumsmodelle nach der Krise nicht mehr dieselben sein können wie davor. Das gilt nicht nur für Osteuropa. Es wird neue Modelle geben und eine neue Machtverteilung in der internationalen Wirtschaft. Die Frage lautet: Was sind diese neuen Quellen des Wachstums? Diese Frage betrifft China, Brasilien, Indien, die USA. Eine Spezialität in Zentraleuropa ist, dass es einen riesigen Kapitalzufluss gab, der plötzlich über Nacht weggebrochen ist. Heute versuchen Länder wie Brasilien oder Indonesien bereits, solche Zuflüsse zu vermeiden. Es wird also darum gehen müssen, ein neues Modell zu finden, das mehr über innerstaatliches Wachstum nachdenkt, als nur darauf zu basieren, dass Kapital von außen zufließt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.2.2010)