Sind Frauen friedlicher? Neigen sie wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit weniger als Männer zu Gewalt? Die Entscheidung der UNO-Welternährungshilfe, Lebensmittelpakete in Haiti vor allem an Frauen zu verteilen, um "Rangeleien" unter Männern ums Essen zu verhindern, könnte solchen Meinungen Vorschub leisten. Allein, das sind Irrmeinungen, die Geschlechtszugehörigkeit und soziale Rolle miteinander verwechseln. Und die verzweifelte Situation der hungernden Haitianer ist nicht der richtige Moment, um Derartiges zu diskutieren.

Vielmehr ist die "Bevorzugung" der Frauen bei der internationalen Lebensmittelhilfe im erdbebenzerstörten Karibikstaat als Versuch zu werten, die Überlebenspakete zumindest zu einem Teil den Schwachen und Schwächsten zukommen zu lassen. Hier sind die Frauen strategisch wichtig. Weil meist sie sich um die Kinder und Alten kümmern - in einer strikt männerdominierten Gesellschaft wie der haitianischen noch eindeutiger als zum Beispiel in Europa. Und weil Frauen in den machistischen Straßengangs und (klein)mafiösen Strukturen, die Haiti dominieren, wenig zu melden haben.

Also in jenen Kreisen, die vom Lebensmittelschwarzmarkt besonders profitieren: einem Schwarzmarkt, der den Allerärmsten das Lebensnotwendigste zu entziehen droht. Dagegen ist die "Bevorzugung" der Frauen nur eines: ein Beitrag zu ein klein wenig mehr Gerechtigkeit in Haiti. (Irene Brickner, DER STANDARD, Printausgabe 1.2.2010)