Salzburg - Mozarts c-Moll-Messe ist ja jeden Festspielsommer Gegenstand einer Weihestunde in der Stiftskirche St. Peter. Doch mag da auch viel Tradition mitschweben - Mozart selbst hat die Messe hier dirigiert, seine Frau Konstanze hat Solos gesungen -, ist der künstlerische Ertrag (wegen der Akustik) eher bescheiden gewesen. Auch Dirigent Marc Minkowski hat in diesem Kontext einst eine Aufführung geleitet.

Jetzt allerdings hat er ernst gemacht, hat die Missa c-Moll KV 427 transparent angelegt, ja quasi durch den Nackt-Scanner geschickt: Bei der Aufführung im Großen Saal des Mozarteums wurde der komplette Gesangspart nur zehn Vokalisten anvertraut - und selbst dabei wurde nicht aus dem Vollen geschöpft: In den doppelchörigen Passagen kamen nur zwei mal vier Sänger zum Einsatz.

Vorteilhaft: Für die Solostellen hat Minkowski aus diesem Sängerpool jeweils die von Klangfarbe und Charakter her ideale Stimme ausgewählt. So gehörte das ersterbend innige "Christe" Camilla Tilling oder das jubilierende "Laudamus te" der jungen Russin Julia Lezhneva. Ihr gelang es gar, im Koloratur-Rankenwerk noch weitere Verzierungen anzubringen, die wie goldfarbene Tupfer wirkten. Den technisch ebenso anspruchsvollen, aber ernsteren Dialog über die Wesenheit Gottes im "Domine Deus" haben Joanne Lunn und Judith Gauthier souverän geführt.

Der Klang der besseren Welt

Alles Theologisieren erstarb mit einem Schlag im gequälten Tutti-Aufschrei "Qui tollis peccata mundi" , während das atemberaubende Pianissimo des "Miserere" aus einer besseren Welt herüberzuklingen schien. Fast wie eine barocke Jagdmusik kam das "Credo" daher, und extrem langsam das "Et incarnatus est" , in dem Camilla Tilling mit dem Solistentrio Traversflöte, Oboe und Fagott konzertierte.

Das war alles verstörend und schonungslos, aber dann wieder überirdisch schön im Klang, denn spannend wirkte die Balance zwischen Vokalisten und Orchester. Marc Minkowski und die Musiciens du Louvre-Grenoble bescherten eine Neubegegnung mit dem vertrauten Werk, die in ihrer Radikalität beeindruckte.

Es gab dazu am letzten Mozartwochenende aber auch ein Kontrastprogramm: Mozarts Requiem mit den Wiener Philharmonikern und dem Rundfunkchor Berlin unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin war eine Breitwand-taugliche Wiedergabe des Werkes, wie man sie in den letzten zwanzig Jahren kaum mehr zu hören bekommen hat. Von "historisch informiertem Musizieren" war bei Nézet-Séguins Debüt am Pult der Philharmoniker nicht die Klang-Rede.

Aber interessant: Trotz klanglicher Opulenz und dramatischer Geste verschafften sich viele aufregende Bläsermotive oder versöhnliche Streicherkantilenen Gehör. Schwerpunkt dieses Abends im Großen Festspielhaus waren aber die Lieder der Schwermut und der Trauer op. 18 von György Kurtág, auf Texte von russischen Autorinnen und Autoren, die teils schon in der Zarenzeit und dann im Kommunismus verboten, verbannt, ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Übrigens: Die Mozartwoche kam heuer auf sehr gute 96 Prozent Auslastung. (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD/Printausgabe, 02.02.2010)