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Dem Oppositionspolitiker Anwar Ibrahim wird wegen Homosexualität der Prozess gemacht. Im Bild links hinter ihm ist seine Ehefrau Wan Azizah zu sehen.

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Die Anhänger Anwars demonstrieren im Gerichtsgebäude in Kuala Lumpur.

Foto: AP Photo/Lai Seng Sin

Ein heute in Kuala Lumpur beginnendes neues Verfahren gegen Malaysias Oppositionsführer Anwar Ibrahim wegen angeblicher Homosexualität schürt die Spannungen in dem südostasiatischen Land. Anwar warf der Regierung eine Verschwörung vor.

Wien/Kuala Lumpur – "Sodomy 2" nennen Leitartikelschreiber, TV-Moderatoren und Internetblogger in Malaysia den Fall, als ob es um einen Kinofilm ginge, der wegen großen Kassenerfolgs nun als Fortsetzung auf die Leinwand kommt. Aber tatsächlich glaubt kaum jemand in dem 28-Millionen-Staat, der neue Prozess gegen Anwar Ibrahim, den Oppositionsführer, habe auch irgendetwas mit neuen Vorwürfen zu tun.

Anwar, ein früherer Vizepremier, saß schon einmal sechs Jahre in Haft wegen Korruption und homosexueller Beziehungen, bis Malaysias Höchstgericht 2004 das Urteil aufhob. Für die einen in dem konservativen, überwiegend muslimischen Land liegt nahe, dass schon etwas am alten Vorwurf der Homosexualität sein muss, da Anwar seit Dienstag erneut vor Gericht steht;ein früherer Sekretär hatte ihn angezeigt.

Für die anderen im Land aber ist klar, dass die Regierung einen zweiten Versuch unternimmt, die politische Karriere des mittlerweile 62-Jährigen endgültig zunichte zu machen. Anwar droht eine Höchststrafe von 20 Jahren. Geschlechtsverkehr unter Männern ist in Malaysia verboten.

Anwar zeigte sich am Dienstag vor Gericht in der Hauptstadt Kuala Lumpur kämpferisch. Dem malaysischen Premierminister warf er eine Verschwörung vor. Najib Razak und dessen Frau hätten sich mit dem Sekretär getroffen, der ihn angezeigt hatte. Der Premier ließ das dementieren. Doch gegen die Regierung spricht schon einmal der Umstand, dass die Anzeige wegen Homosexualität wenige Monate nach dem Erfolg von Anwars Oppositionsbündnis bei den Parlamentswahlen im März 2008 folgte.

Im neuen Verfahren gegen Anwar Ibrahim konzentriert sich nun die ganze politische Krise Malaysias. Die einstige britische Kolonie ist ein Ausnahmefall in Südostasien: Muslimische Malaien stellen knapp die Hälfte der Bevölkerung, die eingewanderte chinesische Minderheit ist wirtschaftlich um vieles erfolgreicher und hält Schlüsselstellungen in den Unternehmen; die zweite, kleinere indische Minderheit versucht, sich von der Vereinnahmung durch die Regierung oder Anwars Oppositionsbündnis Pakatan Rakyat (PR) zu befreien. Doch der Pakt der ethnischen Gruppen, der 50 Jahre lang hielt, ist grundsätzlich in Bewegung gekommen. Und Barisan Nasional (BN), die Nationale Front, die Malaysia seit der Unabhängigkeit 1957 regiert (bis 1973 hieß sie "Alliance" ), ist in einem Abwärtssog gefangen.

Wirtschaftliche Gründe sind dafür entscheidend: das Versagen des Ethnienmodells, das der malaiischen Bevölkerung staatliche Förderungen garantierte und gleichzeitig der chinesischen und indischen Elite ihren Teil am "Big Business" des Landes ließ. Korruption und Nepotismus waren die Folge. 2009 rutschte Malaysia in der Liste von Transparency International vom 47. auf den 56. Platz ab.

Die zunehmende Islamisierung der Gesellschaft war die Antwort. Seit Wochen hält ein Urteil des Höchstgerichts das Land unter Spannung:Christen dürften sehr wohl den Namen "Allah" als Übersetzung für "Gott" benutzen, entschied das Gericht. Der Aufruhr unter der muslimischen Mehrheit war so groß, dass die Regierung eine Aussetzung des Urteils bewirkte. Brandanschläge auf Kirchen folgten. Anwar, zu dessen Oppositionsbündnis auch die Islamisten-Partei PAS zählt, sah dahinter einmal mehr die Hand der Regierung. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2010)