Wer sich Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahre für Underground-Musik interessiert hatte, kam kaum an ihm vorbei: Henry Rollins. Der wegen seiner Full-Force- und Full-Contact-Auftritte gerne Hank, the Tank gerufene Sänger startete damals gerade eine intensive Solokarriere, nachdem Greg Ginn die legendäre Hardcore-Formation Black Flag für beendet erklärt hatte. Deren letzter Sänger war Rollins gewesen.
„Hot Animal Machine“ hieß sein erstes Soloalbum – und war Programm. Ich erinnere mich noch an zwei grandiose Shows in der Szene Wien, Winter war’s, arschkalt mit Schneesturm beim Hinfahren. Die Szene war bummvoll, etliche wurden weggeschickt und die Rollins Band war, wie man so schön sagt, on fire. Nachdem Rollins erfahren hatte, dass viele Leute keinen Einlass mehr gefunden hatten, beschloss die Band kurzfristig den freien nächsten Tag umzuwidmen und ein zweites Konzert zu spielen.
Da war ich wieder. Und 60 andere. Mehr nicht. Doch wir paar Hanselns erlebten den reinen Irrsinn. Zu Beginn meinte Rollins, das sei so, wie wenn man in der Früh aufwacht, in den Spiegel sieht und einen gewaltigen Pickel entdeckt. Man drückt ihn auf und – Splash! – das Eiter springt den Spiegel an. Am nächsten Tag macht man das wieder, aber da kommt nicht mehr so viel Eiter. So verhielte sich das hier und jetzt auch: „But you won’t regret it!“
Diese unfassbare, fast dreistündige Show inklusive A-capella-Einlage bei gleichzeitig auf Brusthöhe gezogener Radlerhose hat Werner Geier damals aufgenommen, Rollins hat sie später als Live-Doppelabum "Turned On" veröffentlicht. Am 27. November 89 war diese Show.
Schon damals hat Rollins auch Spoken-Word-Auftritte bestritten, als er dann mit der Rollins Band irgendwie ein bisserl durch war, hat er sich ganz darauf verlegt. Neben der Schauspielerei, einer sehr guten TV-Show usw. usf. Kommenden Samstag ist er als Spoken-Word-Artist endlich wieder einmal in Wien zu erleben. Im Wuk!
Es wird Bombe! Ich weiß nicht, wie viele DVDs, CDs und alte VHS-Kassetten ich von ihm habe, aber er hat nie ausgelassen. Zuletzt hat er mich fast gekillt. Unwissentlich. Ich war auf Einladung der Red Bull Music Academy 2005 in Seattle, November war das, glaub ich. Jedenfalls bin ich am späten Nachmittag angekommen, um dann, nach einer kurzen Frischmache im Hotel, volley ins Moore Theatre zu gehen. Dort fand 89 nicht nur das berühmt gewordene "Lame Fest" mit Nirvana, Tad etc. statt, Henry Rollins sprach dort vor, ich weiß nicht, zwei tausend Zuhörern. Es war so voll, dass die Veranstalter zusätzlich ein paar Reihen Sesseln vor die Bühne gestellt hatten.
Dort, in der zweiten Reihe, saß ich, jetlagged wie Sau (für mich war es zirka 5 in der Früh) und bald mit steifem Genick. Und bald auch mit einem dringender werdenden Notdurftgefühl. Aber ich brachte es nicht zustande, zwei Meter vor Henry aufzustehen, der dort oben nonstop quasselte, und mich aus diesen eng gestellten Reihen raus- und wieder reinzuquetschen. Also hielt ich durch, fadete ein paar Mal fast weg – um drei lange wie großartige Stunden später dann wie ein Irrer aufs Häusl zu stürzen. Uff!
Na ja.
Jedenfalls ist Rollins auch ohne Musik ein Naturereignis und fucking funny! Worüber er quatscht? Politik, Musik, (Homo-)Sexualität, Reisen, Albernes, Ernstes – das volle Programm. Wer da nicht hingeht – selber schuld!
(derStandard.at, 2.2.2010, Karl Fluch)
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