derStandard.at: Adipositas und Übergewicht nehmen europaweit zu. In Österreich ist der nationale Aktionsplan Ernährung in aller Munde. Schlankmacher mit dem Wirkstoff Sibutramin werden indessen EU-weit vom Markt genommen. Lässt sich der Kampf gegen Fettleibigkeit auch ohne Medikamente gewinnen?
Ludvik: Für die Adipositas-Therapie ist es ein schwerer Rückschlag, dass Reductil (Sibutramin) vom Markt genommen wird. Es gibt zwar immer wieder Leute, die behaupten Medikamente haben in der Therapie einer Fettleibigkeit nichts verloren. Tatsache ist aber, dass es krankhafte Formen des Übergewichts gibt, die mittelfristig ohne den Einsatz von Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen sind.
derStandard.at: Wann genau ist der Einsatz von Abnehmpillen gerechtfertigt?
Ludvik: Er ist dann gerechtfertigt und auch sinnvoll, wenn die Patienten eine Gewichtsabnahme mit einer Lebensstilumstellung nicht erreichen und auf Grund des Übergewichts ihre Gesundheit gefährdet ist.
derStandard.at: Angeblich hat Sibutramin keine nennenswerten Erfolge beim Abnehmen von Gewicht gezeigt.
Ludvik: Das ist nicht korrekt. Sibutramin hat in vielen Studien bewiesen, dass es das Körpergewicht, genauso gut wie alle anderen Substanzen, die bisher untersucht wurden, reduziert. Aber natürlich gibt es, wie bei jedem dieser Medikamente, auch bei Sibutramin Responder und Non-Responder. Das heißt es gibt Menschen die verlieren damit sehr viel an Gewicht, andere wiederum nehmen überhaupt nicht ab.
derStandard.at: Wie viel darf man sich als Responder von einem Abnehmmedikament generell erwarten?
Ludvik: Im Schnitt verliert man maximal fünf bis zehn Prozent des Körpergewichts.
derStandard.at: Wie nachhaltig ist der Erfolg?
Ludvik: Selbstverständlich ist es so, dass nach Absetzen dieser Medikamente das Körpergewicht in der Regel wieder ansteigt. Deshalb haben wir uns eine Strategie überlegt, wie man Reductil zyklisch einsetzen kann. Ganz einfach deshalb, weil auch die Körpergewichtsentwicklung bei vielen Menschen einem Zyklus unterliegt. Beispielsweise ist im Winter bei Lichtmangel der Appetit auf Kohlenhydrate besonders hoch. In solchen Phasen ist den Betroffenen mit dieser medikamentösen Unterstützung sehr geholfen. Sibutramin hat dabei gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Denn neben der appetitzügelnden besitzt es auch eine gewisse antidepressive Wirkung.
derStandard.at: Darf man eine Gewichtsreduktion denn auch bei der Einnahme anderer Antidepressiva erwarten?
Ludvik: Sibutramin kommt ursprünglich aus der Depressionsforschungsbehandlung. Es handelt sich dabei um einen dualen Wiederaufnahmehemmer. Wir wissen heute, dass auch andere Antidepressiva dieser Wirkungsklasse eine Gewichtsreduktion bewirken. Die Frage, die sich für mich stellt: Wie sieht es mit der Sicherheit dieser Antidepressiva aus? Man muss hier ganz ehrlich sagen, dass ein effektives Antidepressivum einen hohen Nutzen besitzt. Ob dieser allerdings größer ist, als der mögliche Anstieg einer kardiovaskulären Gefährdung, müsste man sich genauer ansehen.
derStandard.at: Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat die Empfehlung für den Wirkstoff genau aus diesem Grund zurückgenommen. Eine Langzeitstudie ergeben hat, dass der Schlankmacher das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen erhöht.
Ludvik: Natürlich birgt eine medikamentöse Therapie ein gewisses Risiko, aber ein adipöser Mensch, der beispielsweise unter Diabetes oder einer Fettstoffwechselstörung leidet, besitzt per se ein hohes Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die Studie die hier in Auftrag gegeben wurde, hat ergeben, dass Menschen, die aufgrund ihres Körpergewichts bereits gesundheitsgefährdet sind, von der Einnahme dieses Medikaments nicht profitieren, sprich ihr Herz-Kreislauf-Risiko wird damit nicht kleiner. Damit hat die Untersuchung kein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis gezeigt.
derStandard.at: Sibutramin ist nicht der einzige Wirkstoff der einer Gewichtsabnahme möglicherweise zweckdienlich ist. Sind andere Schlankmacher denn keine nennenswerte Alternative?
Ludvik: Sibutramin setzt direkt im Gehirn an und bewirkt dabei, dass das Sättigungsgefühl früher eintritt und sich der Appetit reduziert. Im Moment steht uns nur noch der Fettblocker Orlistat als Adipositas-Medikament zur Verfügung. Das Problem bei Orlistat ist jedoch: Der Patient muss wesentlich besser mitarbeiten, denn das Medikament wirkt nicht zentral im Gehirn. Dazu kommt, Orlistat erzeugt Fettstühle. Das hält viele Patienten von einer Fortsetzung einer Einnahme ab.
derStandard.at: Was ist mit Kohlenhydratblockern, Quellstoffen und anderen Schlankheitsmitteln, die im Internet angeboten werden? Darf man sich von diesen Produkten eine Wirkung erwarten?
Ludvik: Nein. Im Moment gibt es nur noch eine Substanz, die wirklich ausreichend untersucht wurde. Das ist Xenical (Orlistat).
derStandard.at: Xenical ist seit Mai 2009 in halber Dosierung in Österreich als Alli auch rezeptfrei erhältlich. Angenommen ein normalgewichtiger Mensch schluckt Alli. Kann er sich damit schaden?
Ludvik: Er kann sich damit nicht schaden, darum ist es ja auch rezeptfrei geworden. Selbst die jahrelange Einnahme der vollen Dosierung wird keine Mangelerscheinungen auslösen. Was passiert: Es bilden sich Fettstühle. Insofern ist der Missbrauch von Alli der reinste Masochismus. Sinnvollerweise sollte Alli genauso eingesetzt werden wie Xenical, sprich bei einem BMI über 30, beziehungsweise bei einem Diabetiker bereits bei einem BMI von 27. (derStandard.at, 2.2.2010)