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Weil sie sechs übrig gebliebene Maultaschen mitgenommen hat, verlor eine deutsche Altenpflegerin ihre Stelle. Das Arbeitsgericht bestätigte die Entlassung, in Österreich entscheiden Gerichte oft weniger streng.

Foto: APA/Seeger

In jüngster Zeit haben Gerichtsfälle aus Deutschland, in denen es Entlassungen wegen der Entwendung von Gegenständen mit sehr geringem Wert - sechs Maultaschen, zwei belegte Brote oder zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro - ging, auch bei uns für großes Aufsehen gesorgt. Wie wären derartige Fälle aber von einem österreichischen Gericht zu entscheiden?

Für eine fristlose Entlassung eines Arbeitnehmers bedarf es - im Gegensatz zur fristgebundenen Kündigung unter Wahrung aller Ansprüche - eines wichtigen Grundes. Diese Entlassungsgründe sind für Angestellte im § 27 AngG und für Arbeiter vor allem im § 82 GewO 1859 geregelt. Ein Diebstahl oder eine Veruntreuung sind etwa derartige Gründe, da hier ein grober Vertrauensbruch gegeben ist.

Wie ist das nun zu sehen, wenn die gestohlene oder veruntreute Sache nur sehr wenig wert ist? Ist selbst dann eine Entlassung in jedem Fall gerechtfertigt?

Die österreichische Rechtsprechung hat hier einen differenzierten Standpunkt eingenommen: Grundsätzlich kommt es bei Entlassungen wegen Eigentumsdelikten nicht auf den jeweiligen Wert an. Allerdings kann dies bei Vorliegen "besonderer Umstände" ausnahmsweise auch anders gesehen werden. Das ist gerade bei sehr geringfügigen (oder "nahezu wertlosen") Gegenständen der Fall, wenn der Arbeitnehmer bereits mehrere Jahre ohne Beanstandungen beschäftigt ist und nur eine "geringe Schuldintensität" vorliegt.

Als gerechtfertigt angesehen wurde etwa die Entlassung wegen des Inkassos von insgesamt sieben nicht bonierten Portionen Kaffee, die die Arbeitnehmerin nicht abgeführt hatte (OGH 8 Ob A 33/97d), oder wegen der Entwendung eines vorbereiteten Patientenessens trotz gegenteiliger Dienstanweisung, aus- und nachdrücklicher Warnung vor den Konsequenzen des allfälligen Zuwiderhandelns und trotz Zur-Rede-Stellung bei frischer Tat (OGH 9 Ob A 256/00p). Als unberechtigt beurteilte der Oberste Gerichtshof hingegen:

  • die Entlassung einer seit elf Jahren als Küchenhilfe beschäftigten Arbeitnehmerin, die zwei unbezahlte Weckerln und drei Portionen an Personalessen (von denen sie eine mitnehmen durfte) mit nach Hause genommen hatte, wobei letztere für den Arbeitgeber nicht mehr verwertbar gewesen wären und die Arbeitnehmerin nicht planmäßig vorgegangen war (OGH 9 Ob A 368/93);
  • eines Arbeitnehmers, der weisungswidrig Personalrabatt nicht nur für sich oder bestimmte nahe Verwandte, sondern bei Bestellung auf eigenen Namen auch für andere Personen in Anspruch genommen hatte, wobei die Ernsthaftigkeit der Weisung des Arbeitgebers infolge mangelhafter Kontrolle nicht zum Ausdruck gebracht worden war (OGH 9 Ob A 66/95);
  • oder eines seit 21 Jahren beschäftigten Reifenmonteurs, der während der Arbeit an einem Pkw aus einem frei zugänglichen, geöffneten Sackerl einige Zuckerln entnommen hatte (OGH 9 Ob A 171/95).
  • Die Entlassung einer Arbeitnehmerin, die einen Großteil ihrer Weihnachtsremuneration drei bis vier Tage vor deren Fälligkeit aus der Tageslosung einbehalten hatte (OGH 9 Ob A 313/00w);
  • oder eines Arbeitnehmers, der Backwaren vom Vortag, die vom Arbeitgeber entweder entsorgt oder unentgeltlich zur Viehfütterung weitergegeben worden wären, teilweise an Kunden verschenkt und teilweise für sich mitgenommen hatte, wobei er davon ausgegangen war, dies tun zu dürfen (OGH 9 Ob A 251/02f). Hier verneinte der Gerichtshof von vornherein eine strafbare Handlung - und in weiterer Folge einen Entlassungsgrund.

Dass Delikte von Arbeitnehmern im Bagatellbereich unter allen Umständen zu einer fristlosen Entlassung berechtigen würden, kann - jedenfalls für den Bereich der österreichischen Rechtsprechung - keinesfalls gesagt werden.

In Deutschland ist die Rechtslage durch den dort geltenden strengeren Kündigungsschutz etwas anders. Denn auch fristgebundene Kündigungen sind dort nicht ohne weiteres möglich; dabei akzeptieren dann aber die Arbeitsgerichte bei Bagatelldelikten eher die Beendigung eines Dienstverhältnisses. (Thomas Majoros, DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2010)