Plädoyer für seinen Contemporary Art Tower: Mak-Direktor Peter Noever auf dem NS-Gefechtsturm im Arenbergpark.


Utopien im Betonklotz: Präsentation des Mak-Jahresprogramms im Flakturm

Wien - "Kunst erfindet sich ständig neu und denkt in Unmöglichkeiten" - so eröffnete Peter Noever, Direktor des Museums für angewandte Kunst, im Vorjahr seine Jahrespressekonferenz. Dem damals ausgerufenen Motto "Gnadenlos visionär" bleibt man treu, und so ziehen sich die Visionen vieler Erweiterungsprojekte, wie etwa Wien-Fluss-"Überplattung" oder Schaulager weiter.

In der dramatischen, zu wohligen Kuscheltemperaturen aufgeheizten Kulisse des Gefechtsturms im Arenbergpark schmetterte Noever am Dienstag bei seiner vorerst vorletzten Inszenierung dieser Art (2011 läuft sein Vertrag aus): "Ein Museum hat die Pflicht zu Utopien." Wenn sie möglich wären, es also lediglich bei der Realisierung hapert, sind es vielmehr "konkrete Utopien" : Das Sorgenkind ist diesbezüglich der Cat. Für ein Happy End kann nun sogar per Postkarte votiert werden.

Tatsächlich konkret wird im Mai die große Nordkorea-Schau Blumen für Kim Il-sung, die bereits für Dezember 2009 angekündigt war. Neben einer großen Personale der Österreicherin Eva Schlegel zu Jahresende (ab 8. 12.) wird die große Ausstellungshalle aber neuerlich meistens leer stehen. Kleinere Präsentationen bestreiten Hans Weigand (ab 13. 4.), Plamen Dejanoff (ab 18. 9.), Josef Dabernig (ab 7.4.) und David Zink Yi (ab 6. 10.).

Das Mak "beugt sich nicht dem Zwang von Besucherstatistiken". Die Zahlen will man "nur gesagt haben", denn "genieren" müsse man sich nicht: 183.520 Besucher im Jahr 2009. Das sind zwar angepriesene 3,8Prozent mehr als 2008, der Wert von 2006 (196.127) wird allerdings nicht erreicht. Zum Vergleich: Das Mumok zählte im Vorjahr 241.300 Besucher. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 03.02.2010)

Foto: Udo Titz

Im Gespräch mit Andrea Schurian beklagt er die kunstfeindliche Stimmung.

Standard: Als Gradmesser für erfolgreiche Museumspolitik gelten Besucherzahlen. Ist es nur Feindpropaganda, oder verzeichnet das Mak eher bescheidene Zuwächse?

Noever: Die Besucherzahlen sagen nichts über Kunst aus. Aber alles in allem haben wir 2009 die Besucherzahlen dennoch um 3,8 Prozent gesteigert. Allein der Lesesaal wird von 11.000 Menschen jährlich besucht. Wenn wir schon von den Zahlen reden: Wir hatten vor der Vollrechtsfähigkeit ein weitaus höheres Ausstellungsbudget. Seither sind die Personalkosten gestiegen, aber nur ein Teil wird abgegolten. Die einzigen Variablen sind das Ausstellungs- und das Sammlungsbudget, wobei Letzteres unglücklicherweise null ist, da wir sonst überhaupt keine Ausstellungen mehr machen könnten. Mithilfe von Privatinitiativen und Künstlerschenkungen konnten wir 2009 dennoch 13.000 Sammlungsobjekte als Zugang verzeichnen. Aber diese Schenkungen sind keine Lösung. Wie kommen Künstler dazu, den Staat zu beschenken?

Standard: Seit 1995 bemühen Sie sich darum, im Flakturm im Arenbergpark den Contemporary Art Tower (Cat) zu verwirklichen. Wie schaut es derzeit aus?

Noever: Wie immer, wenn man in dieser Stadt lebt: Die Zukunftsaussichten sind trist. Seitens der Behörden hat man uns von Pontius zu Pilatus geschickt, und jetzt heißt es: zurück zum Start. Bund und Stadt schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Jetzt argumentieren beide mit der Krise. Aber die Krise ist eine geistige.

Standard: In Sparzeiten ist natürlich auch der finanzielle Aspekt wichtig. Wie teuer wäre der Cat?

Noever: Einmalig zehn Millionen Euro für die Infrastruktur sowie den Medien- und Versorgungsturm. Das ist in etwa das Jahresbudget fürs Museum. Der laufende Betrieb kostet dann nicht so viel; innen sollen die Räume ja weitgehend roh, also unverändert bleiben. Es ist nicht verständlich, dass zur Stabilisierung von Banken Milliarden ausgegeben werden und bei der Kunst zehn Millionen ein Problem darstellen. Es wäre ein Gebot der Stunde, sich zu erinnern, was und wer man wirklich ist: eine Kulturnation.

Standard: Das Problem scheinen ja vor allem der Medien- und Versorgungsturm und die Dachaufbauten zu sein.

Noever: Sowohl der Turm als auch der Dachaufbau sind sensationelle Interventionen internationaler Künstler: Über den Medien- und Versorgungsturm würde ein 90 Meter langes Schriftband von Jenny Holzer laufen. Und als Dachaufbau ist ein Skyspace von James Turrell geplant. Erstaunlich, dass sich die Politiker so davor ängstigen. Die Wahrheit ist doch: Kunst ist unsere Schwerindustrie. Das Areal des Arenbergparks wird behandelt wie ein Schlossgarten, es gibt keine Baugenehmigung. Aus einem Rechtsgutachten geht ganz eindeutig hervor, dass das Gebäude, auf dem der Gefechtsturm steht, als "Erholungsgebiet/Parkanlage" falsch gewidmet ist. Damit wir den Versorgungsturm bauen können, müsste die Stadt den Flakturm als "Sondergebiet/Kultureinrichtung" umwidmen, wir würden alle gesetzlichen Auflagen erfüllen. Aber die Stadt macht diese Umwidmung von der Bürgerbefragung abhängig – und davon, dass das Projekt ausfinanziert ist. Das ist aber laut einer Expertise nicht gesetzeskonform. Die Bürgerinitiative hat wiederum gute Kontakte zur Bezirksvorstehung im 3. Bezirk. So schließt sich der Verhinderungskreis.

Standard: Aber gibt es nicht schon genug Museen?

Noever: Der Cat soll genau das Gegenteil werden: kein Museum, sondern eine Kunstinstitution, ein lebendiger Ort. Schon jetzt ist dort ein Teil unserer Gegenwartskunstsammlung untergebracht.

Standard: Mehr als 5000 Personen haben für das Projekt unterschrieben. Was ist das Besondere daran?

Noever: Die "rohen" Räume entsprechen den Vorstellungen der Künstler. Hier können sie den ihnen zur Verfügung stehenden Ort selbst konditionieren. Geplant ist, das Gebäude komplett zu leeren und dann ausgewählte Künstler einzuladen, Arbeiten vor Ort zu realisieren. So wird der Entstehungsprozess von Kunst für die Öffentlichkeit sichtbar, und die so entstehende Sammlung steht in einem einmaligen Kontext.

Standard: Wenn Sie als Mak-Direktor in Pension gehen: Wäre dann Cat-Direktor ein feiner Job?

Noever: Die Überlegung möchte ich vermeiden. Aber natürlich bin ich nicht völlig unleidenschaftlich, auch was den Cat anbelangt. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass Österreich derzeit nicht imstande ist, einen Fond zu schaffen, um zeitgenössische Kunst zu kaufen. Und ich finde es inakzeptabel, Künstler ausschließlich Galeristen und den wenigen Privatsammlern zu überlassen, die es in Österreich gibt. Natürlich wird das auch durch den Cat nicht völlig anders werden. Im Prinzip ist die Realisierung weder Experiment noch Risiko. Denn durch jeden Künstler, der eingeladen wird, vor Ort zu arbeiten und seine Arbeit vor Ort zu belassen, erwirbt die Republik Österreich jedes Mal bei minimalem finanziellem Einsatz ein kleines Vermögen.

Standard: Apropos zeitgenössische Kunst sammeln: Wurde Ihnen nicht vorgeworfen, zu sehr in den Gefilden des Mumok zu grasen?

Noever: Mag sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass man zeitgenössische Kunst nicht auf ein einziges Museum reduzieren kann und darf. Eine Monopolisierung wäre ja geradezu ein Verbrechen an Kunst und Künstlern.

Standard: Eine strenge Museumsordnung, die genau vorschreibt, wer was sammeln und tun darf, wäre nicht nach Ihrem Sinn?

Noever: Nein. Man kann niemandem verbieten, sich mit Künstlern auseinanderzusetzen, nicht einmal dem Kunsthistorischen Museum, wenn es um wesentliche zeitgenössische Positionen geht. Es ist ja schon sehr bezeichnend, dass man das überhaupt andenkt. Es zeigt die Angst vor zeitgenössischer Kunst – aber ein Museum ist ja keine Schraubenfabrik.

Standard: Das nächste Projekt ist "Blumen für Kim Il-sung" . Gehen Ihnen bald die Diktatoren aus?

Noever: Darum geht es nicht. Es ist die erste Ausstellung der Demokratischen Volksrepublik Korea außer Landes. Aufgabe eines Museums ist es auch, Kunst zu zeigen, die nicht allgemein zugänglich ist. Wie Sie wissen, ist es ist mir seit jeher wichtig, Einblicke in die Welten jenseits westlicher Kunstströmungen zu geben.

(DER STANDARD/Printausgabe, 03.20.2010)